Montag, 4. Juni 2012

Malkasten

So richtig nach Juni und Sommeranfang sehen die Bilder des heutigen Blog-Eintrages nicht aus, das geben wir gerne zu. Zum einen liegt das am Wetter, welches keinen Anlass für Ausflüge ins Grüne, zum anderen wurden die wenigen Ausflüge, die dann trotz Wetter gemacht wurden, in Abwesenheit des Fotoapparates durchgeführt, so zum Beispiel der Ausflug nach Reinickendorf zum Spiel der dort beheimateten Füchse gegen TeBe.

Ella folgte dem Spiel mit für ihre Verhältnisse großem Interesse, einzig die Spielpaarung wollte nicht so recht in ihrem Hirn bleiben, denn Ella sprach ständig von den Augsburger Füchsen, die da gegen TeBe spielten. Irgendwann in der Mitte der zweiten Halbzeit fragte Ella ihren Vater mal wieder nach der Bedeutung des Wortes "Abseits". Dem Vater, sonst nicht schlecht im Erklären komplizierter Sachverhalte, fiel partout keine Erklärung ein, die annähernd kindgerecht ist. Also sagte er: "Das erklär ich dir, wenn du acht bist" und fügte noch hinzu "mit Gummibärchen irgendwie".

Interessant wäre es gewesen, Ellas Gedanken während dieser Erklärung lesen zu können. Fest steht, dass der Vater das Mysterium um das "Abseits" mit seinen Ausführungen noch vergrößert haben dürfte. Es muss wohl irgendwas Versautes sein. Acht muss man sein. Und dann auch noch mit Gummibärchen.

Gemeinsam mit einem anderen Stadionbesucher konnte im Anschluss mühelos das Wesen einer modernen Gesellschaft definiert werden. In der modernen Gesellschaft nämlich, so die beiden Herren, kommen die Erwachsenen nicht in Erklärungsnöte, wenn sie ihren Kindern erklären müssen, woher die kleinen Babys kommen, sondern wenn es um Zeitpunkte der Ballabgabe, gleiche Höhe und aktives Eingreifen in den Angriff geht.
Woher die kleinen Babys kommen, weiß Ella im Wesentlichen. Sie schilderte dies vor langer Zeit bereits in drastischen Worten. Was Abseits ist, weiß sie noch immer nicht, obwohl sie das Wort vermutlich schon eintausend Mal vom Vater und vom Fernseher gehört hat.

Nach dem Schlusspfiff eines Spiels, dass 0:0 endete, stürmten Ella und Oscar das Spielfeld. Diese als "Düsseldorfer Nachspielzeit" bekannte Zeremonie machen Ella und Oscar ja sehr häufig. Und während Ella zur Mannschaft rannte und gemeinsam mit den Spielern in Richtung Fanblock applaudierte, schnappte sich Oscar seinen Winnie-Pu-Ball, setzte ihn einige Meter vor das verwaiste Tor der Augsburger... äh... Reinickendorfer Füchse, nahm viele Meter (es waren vielleicht fünfzehn) Anlauf und wollte auf diese Weise das einzige Tor des Tages erzielen.

Der Schuss blieb aber im morastigen Boden hängen, was einen zweiten Schuss nötig machte. Ein Raunen ging durchs Stadion, der Ball lag nur noch ungefähr einen Meter vor der Torlinie. Stürmer Oscar nahm wieder eine reichliche Menge Anlauf und schoss... knapp am Ball vorbei - fast fiel er hin. Beim dritten Versuch aber war der Ball im Tor, Oscar drehte jubelnd ab, sah dann, dass die Tebe-Spieler mit dem Fan-Händeschütteln schon fertig waren und weinte darob tausend Tränen.

Es ist hier so langsam mal Zeit für Melancholie, denn Abschiede stehen ins Haus. So müssen wir aufgrund des nahenden Umzugs wohl bald auf den einen ganz speziellen Nachbarsjungen verzichten, der hier immer klingelt und nach dem Türöffnen entweder gar nichts sagt, sondern direkt an dem Erwachsenen vorbei in unsere Wohnung marschiert oder aber auch - natürlich ohne Grußformel - direkt irgendein ganz seltsames Zeug erzählt.

Heute klingelte es. Mama öffnet die Tür. Draußen steht der seltsame Nachbarsjunge und sagt: "Wir waren lange nicht da. Wir waren in Semlin" und marschiert ins Kinderzimmer.

So eine lange Zeit, wie er behauptet, war er aber gar nicht weg, denn es ist vielleicht erst drei Tage her, als er abends hier klingelte, der Hausherrin kurz aberwitzige Dinge erzählte und schließlich - zur Krönung dieses denkwürdigen Auftrittes - rund zweihundert Muscheln in unseren Flur kippte. Es handelte sich wohl um ein Geschenk, denn kurz danach verließ der Nachbarsjunge unseren Türrahmen und ging wieder zurück in seine Wohnung. Die Muscheln liegen jetzt noch im Flur und stehen sinnbildlich für das Motto "Wir ziehen eh bald um".

Abschied muss Ella demnächst auch vom Kinderladen und damit von ihrer momentan innigen Freundin Romy nehmen, denn durch unsere Straße führt die Grenze zweier Grundschuleinzugsbereiche wie früher die Staatsgrenze durch die Spree. Ella ist "Glaßbrennner" und Romy ist "Salomon".
In Ellas Grundschule war heute Schnupperunterricht. Mama brachte ein verschüchtertes Kind hin, Papa holte ein stolzes und fröhliches Kind ab. Dazwischen hat Ella gesungen und gebastelt und ihre aller-allererste Antwort als Schulkind gegeben. Sie lautete "Malkasten". Es handelte sich dabei um eine Diskussion im Literatur-Unterricht. Das Werk hieß "Lauras erster Schultag" und die Antwort auf irgendeine heikle Frage lautete nun mal "Malkasten". Sie war übrigens korrekt.

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