Montag, 30. Juli 2012

Mallorca-Tagebuch, Teil 1

Tag 1-2

Ähnlich wie bei den Daltons oder Tick, Trick und Track darf ab sofort bezweifelt werden, ob es sich bei Ella und Oscar um völlig eigenständige und von einander unabhängige Organismen handelt. Unsere Kinder sind eventuell nur eines. Eine Persönlichkeit, gesplittet in zwei Körper.
Grund zu dieser These gab die Fahrt vom Flughafen Palma de Mallorca ins Domizil am anderen Ende der Insel.
Oscar schlief. Ella klagte über Übelkeit. Oscar schlief. Ella aß Salzstangen. Oscar kotzte sie aus. Drei große Schwalle stoben durch den Mietwagen. Erst beim dritten wurde Oscar wach. Minuten später weinte er.
Zwischenergebnis vom Pool: Kein Kind ertrunken. Bei Ella war es allerdings knapp. Papa ist jetzt offiziell Lebensretter, denn hätte er seiner Tochter, die vom Schwimmbrett glitt, nicht gnädig die Hand gereicht, wäre diese knallhart mit ihren unzureichenden Schimmfähigkeiten konfrontiert worden und auf dem Grund des Pools gelandet. Alles gut, Oma. Keine Panik. Wir wuppen das hier.


Tag 3-4

Der Schwimmlerngurt von Ella "verliert" im Abstand von 24 Stunden ein so genanntes Pellet. Im Lieferumfang enthalten waren deren fünf. Ella schwamm damit nicht im Wasser des Pools, sondern auf dem Wasser des Pools -  wie ein Korken.
Mittlerweile muss Ella kämpfen um über Wasser zu bleiben, denn es sind nun nur noch zwei läppische Pellets, die an Ellas Rücken baumeln. Die Erwachsenen sind sich einig: Ella kann theoretisch bereits schwimmen, ihre Psyche macht leider noch nicht mit. Es ist wahrscheinlich, dass Ella in zwei Tagen als "Schwimmschutz" lediglich den schwarzen Gürtel tragen wird, der einmal fünf Pallets hielt. Ohne diesen dann nutzlosen Gürtel wird Ella definitiv untergehen...
Oscar genießt hier ebenfalls die verschiedenen Freizeitmöglichkeiten und ist am Strand der einzige Badegast, der in echte Kommunikation mit dem Element tritt. Oscar nämlich findet das Meer durchaus bebrüllenswert. Er steht an der Küstenlinie und brüllt mutig das Meer an. Dieses schickt dann meistens eine gefährliche Welle in Richtung des Streithahns, worauf dieser schnell erkennt, dass hier Unheil droht. Oscar macht dann die Biege und rennt vor Angst oder Freude brüllend vor der Welle weg. Ein ähnliches Verhalten ist aus jungen Tagen des Vaters überliefert.
Formulierung des Tages: "Ich bin nicht klein. Ich bin großklein" (Oscar). In wenigen Monaten schon wird er statt großklein kleingroß sein und dass das besser ist, weiß jeder, der weiß, dass eine Gartentür immer eine Tür und niemals ein Garten ist. Oscar beherrscht die deutsche Wortbildung beim Kampf um das körperliche Wachstum.


Tag 5-6
Mindestens einem Kind ist es hier wohl nicht heiß genug. Draußen brutzeln 35° und drinnen sind die Heizungen volle Kanone aufgedreht. Wir Erwachsenen waren das nicht. Nachts jammern die Kinder vor Hitze. Nicht logisch.
Ella schwimmt jetzt ohne jede Hilfe rund 10 Meter oder 20 Sekunden am Stück. Oscar strahlt dagegen in seiner Schwimm-Ente und orangefarbenen Schwimmflügel links und rosafarbenen Schwimmflügel rechts unwahrscheinlich wenig Autorität aus. Da hilft auch Lautstärke nichts. Am Strand ist er immer noch derjenige, der das Meer am lautesten anbrüllt.    

Freitag, 13. Juli 2012

Sich unter der Informationslast biegender Blogeintrag

So manche Woche der vergangenen Jahre, die wöchentlich in diesem Blog dokumentiert wurden, waberte ereignislos vor sich hin. Der Blogschreiber saß dann verzweifelt vor der leeren Seite, fragte seine Frau, was passiert wäre und berichtete dann von Spektakeln wie Purzelbäumen oder U-Bahnfahrten. Die Leserschaft gähnte zurecht.

Diesmal stehen wir vor Problemen anderer - gegenteiliger - Art. Wie ist der Grad der Veränderung in Worte zu fassen? Wie ist es möglich, eine derart ereignisreiche Zeit zu skizzieren?
Versuchen wir es in einem Satz - dem Satz mit der höchsten Informationsdichte in sechs Jahren Bloggerei. Es geht los:

Ella feierte ihren sechsten Geburtstag im Garten, packte morgens Geschenke aus, ging vormittags ins Kino (Benjamin Blümchen), feierte nachmittags und abends mit der ganzen Verwandtschaft weiter, bevor einen Tag später der Umzug in die neue Wohnung anstand, in der wir also seit einer guten Woche wohnen, in der aber noch keine richtige Küche und auch noch nicht das Telefon installiert ist, sonst aber alles ganz wunderbar ist, sieht man mal von Else Kling ab, die in einer Art polymorphen Spaltung in Form eines Mannes und einer Frau irgendwo unter uns wohnt, was momentan aber sowieso egal ist, da wir derzeit bei Oma Münster in Bergkamen weilen und demnächst für ein paar Tage im Urlaub sind, was eine Information darstellt, mit der potenzielle Einbrecher in diesem Fall nicht viel anfangen können, da in unserem Haus irgendwo unter uns in einer Art polymorphem Spaltung Else Kling... ach das hatten wir ja schon... jedenfalls dürfen sich die potenziellen Einbrecher warm anziehen, denn unsere neuen Nachbarn passen auf "wie die Teufel", das sagen so jedenfalls die vielen lieben Handwerker, mit denen wir zur Zeit unsere Wohnung teilen.

Das waren sie, die 191 Worte dichtester Information. Dies haben wir hinter uns. Und nun haben wir Platz für weitere Details. Ella, das haben wir im langen Satz syntaktisch nirgendwo unterbringen können, ist nun kein Kita-Kind mehr. Traurig nahm Ella Abschied vom Kinderladen und den Erziehern. Eine traurige Ella erkennt man übrigens daran, dass sie sehr normal ist. Dass sie mal nicht kopfüber an der Kletterstange hängt oder schreiend durchs Gelände jagt, sondern dass sie in normalen Tempo läuft, relativ ruhig ist und lächelt. Die tieftraurige Ella ist im Prinzip ein unglaublich angenehmes Mädchen.

Dieses angenehme Mädchen aber rang die ganze  Zeit mit den Tränen, fand dann Papas Schulter und konnte dort hineingepresst vom Kloß im Hals erzählen. "Ich habe den Kinderladen verloren und die alte Wohnung verloren. Das ist so, als hätte ich zweimal das Zuhause verloren", sagte die Sechsjährige auf dem neuen Heimweg ihrem Vater. Dieser war gleichzeitig stolz, ob der starken sprachlichen Konstruktion der töchterlichen Aussage und traurig, weil durchaus einzusehen ist, dass momentan ein bisschen viel Veränderung in das kleine Mädchen hineinrieselt. 


Unterm Strich ist Ella aber glücklich in der neuen Wohnung. Sie hat nun ein Zimmer, in dem kein Wüterich sein Unwesen treibt. Der Wüterich hat natürlich auch ein eigenes Zimmer. Dieses findet er momentan noch doof. Vermutlich ist ein Sofa zu viel und ein Cars-Poster zu wenig in Oscars Zimmer. Bei Ella aber ist alles ziemlich in Ordnung. Oft verschwindet Ella in ihren eigenen vier Wänden und genießt dort Zeit und Raum für sich, während Oscar draußen tobt und seinen Eltern in klug durchdachter Argumentation erläutert, dass sein Zimmer doof ist. Gerne liegt der Herr dann auf dem Boden und trommelt mit allen Extremitäten Richtung Else Kling. Vielleicht ist das alles auch für Oscar momentan nicht so leicht. Aktuell ist auch noch ein wunder Po hinzugekommen. Wir halten fest: Sofa raus, Cars-Poster rein, Salbe rauf. Oscar ist bestimmt schnell wiederhergestellt. 


Die Blogleser mögen sich nun gedulden. Wann das nächste Mal gebloggt wird, hängt von einigen Faktoren ab. Einer davon ist die Telekom beziehungsweise O2. Wir glauben an die hohe Kompetenz der beiden Unternehmen und sind sicher, dass alles schnell geht. Wie auch immer: Die Zeiten bleiben spannend. Der Blog wird sich auch in Zukunft unter der großen Informationslast biegen. 


Abschlussinforrmation und dann ist wirklich Schluss mit Inhalt: Oscar war beim Friseur. Punkt. Schluss. 

Dienstag, 3. Juli 2012

Bericht aus dem Exil

Dieser Text stammt aus dem Exil. Das Chaos der Wohnung, die momentan der Übersicht halber „die alte Wohnung“ heißt, verließen wir, konnten aber noch nicht in das Chaos der neuen Wohnung einziehen. Ella, Oscar und ihre Eltern flüchteten deshalb in den Garten, wo sie interessanterweise feststellen mussten, dass der Dachdecker an ihrem Gartenhaus zugange war und für eine kleine Baustellenatmosphäre sorgte, auf die die dynamische Familie derzeit extrem allergisch reagiert.
Anders gesagt: Wir waren weltweit wohl die einzigen Menschen, die quasi über drei Behausungen verfügen, die aus einer organisatorischen Dummheit heraus jedoch alle drei derzeit Baustellen sind. Der Dachdecker aber ist ein Mann von sensibler Wahrnehmung und so schlug er vor, nachdem er sich das Leid der Flüchtlingsfamilie (, die mit dem nötigsten Hab und Gut im Rucksack in ihren Garten fiel,) anhörte und vor allem in die aschfahlen Gesichter der vom Umzug Gezeichneten sah, dass er theoretisch auch eine Dachdeckerpause einlegen könne. Müde nickte der Vater und half beim Abbauen der Baustelle Das Dach ist soweit dicht“, sprach der Dachdecker noch, als er mitsamt der Baustelle von Dannen zog.
Über diesen Satz dachten in der folgenden Nacht drei Personen noch recht lange nach. Oscar, soviel sei angedeutet, gehörte nicht dazu, denn Oscar schlief tief und fest in einer Nacht, die aufgrund eines nachrichtenrelevanten Unwetters eine Drohkulisse erzeugte, die grob an die Bombardierung durch eine feindliche Luftwaffe erinnerte. Blitze schlugen in einer Entfernung von wenigen hundert Metern keck mal hier mal dort ein. Papa war minutenlang irritiert und zutiefst verängstigt, weil er sich noch im Einfluss eines doofen Traumes in einem Zelt wähnte und lange grübelte, was die Raufasertapete in seiner Hand zu bedeuten habe, ehe ihm gewiss wurde, dass er in seinem Gartenhäuschen steht. Währenddessen tobte draußen das Gewitter. Oscar schlief.
Glück hatte das friedlich schlafenden Kind, dass ihn weder ein Blitz traf, was unwahrscheinlich war, noch dass ihn der immer noch vollkommen orientierungslose und fast panische Vater erschlug, als er sich zurück ins Bett warf, welches – Trugschluss a) – nicht im Zelt, sondern im Gartenhäuschen stand, und welches – Trugschluss b) – keinesfalls leer war, sondern von einem kleinen lieben Jungen, der bei Krieg schlafen kann, bereits in Beschlag genommen wurde. Die Wucht des ins Bett zurückfallenden Vaters verfehlte Oscar zum Glück und auch die Blitze verfehlten uns, sodass wir zufrieden in die Welt herausposaunen können, dass wir hier nach wie vor zu viert unterwegs sind. Ohne Bleibe zwar, aber mit einem schlagenden Herzen in der wackeren Brust. Das Dach hielt tatsächlich dicht, der sensible Dachdecker hatte Recht.
Der liebe kleine Junge, der in dem Unwetter-Inferno, von welchem wir soeben berichteten, eine Nebenrolle spielte, ist derzeit übrigens vor allem in Gewitternächten sehr lieb und angenehm im Umgang.
Tagt es aber, so ist es schnell mal vorbei mit Oscars Freundlichkeit. Fast ist es uns zu unangenehm, Einzelheiten von Oscars grobem Fehlverhalten hier zu veröffentlichen, aber es muss sein, damit wir später einmal augenzwinkernd unserem im Nachhinein überaus gelungenen Sohn vorlesen können, wie ungut verschiedene Dinge liefen, als er dreieinhalb war. Oscar nämlich riss in diesen Tagen einerseits Tapete im Gartenhäuschen von der Wand, was der Vater vor lauter Aufgebrachtheit nur unter großen Mühen psychologisch als „Kompensation des Schnullers“ deuten konnte, während die Mama, statt zu deuten, Mehl anrührte und die Tapete mithilfe eines mittelalterlichen Kleisters wieder in Position brachte. Andererseits setzte sich Oscar lobenswerterweise aufs Töpfchen, kippte jedoch nach Vollzug den braunen Töpfchen-Inhalt mitten auf den Rasen. Es ist derzeit schier unbegreiflich, wie zielsicher daneben sich unser Sohn benehmen kann.
Wie einig sich die gesamte Welt darüber ist, wird auch klar, wenn man sich vor Augen führt, dass die Erzieherin in einem Elterngespräch lächelnd, doch überraschend direkt, in die Gesichter der Eltern sprach „Oscar ist eine Arschmade“ und niemand der anwesenden Eltern es wagte, zu widersprechen. Im selben Gespräch, das im Übrigen eigentlich von Ella handeln sollte, nannte die Erzieherin unseren Sohn auch „Sonnenschein“. Dieses in der Wissenschaft als „Oscisches Paradoxon“ bekannte Phänomen trifft den Nagel auf den Kopf: Oscar ist großartig und furchtbar zugleich. Er ist wie „supergeiles Wetter“, welches sich dann in Wahrheit als furchtbar viel zu heiß herausstellt und mit einem Gewitter endet – hier schließt sich der Kreis, denn seit wir im Garten wohnen, gewittert es jede (!) Nacht.
Kommen wir noch zu Ella. Wir bleiben aber beim Gespräch mit der Erzieherin. Diese meint, neben diversen Großartigkeiten unserer Tochter ein eher nüchternes Geschwisterverhältnis zwischen ihr und Oscar zu beobachten. Repräsentativ stehe hierfür ein Satz von Ella, der sich schnell in ihre Liste der fantastischsten Sätze, die man an als Erzieherin so hört, gespielt hat:
Ella wurde in der Kita gefragt, wer denn Oscar sei. Man erwartete gefühlsschwangere Adjektivreihen, die Ellas tiefe Liebe zu ihrem Bruder prosaisch nicht endgültig definieren, wohl aber andeuten könnten. Und was antwortete Ella? Sie sagte: „Der wohnt bei uns“.
Der wohnt bei uns! Richtig. Und er kippt seine Losung auf unseren Rasen und er reißt uns die Tapete von der Wand. Und lieb haben wir ihn trotzdem. In der Wissenschaft heißt das „Oscisches Paradoxon“ oder so...

In den nächsten Tagen geht’s weiter rund: Ella wird sechs. Einen Tag später entern wir die neue Wohnung. Mal sehen, wann wieder gebloggt wird..