Montag, 29. April 2013

Sprach-Brei

Am Freitag gegen 13:00 Uhr - der Vater kann dies nur aus zweiter Hand berichten - wartete wohl mehr oder weniger exakt der Personenkreis vor Ellas Schule, der montags zuvor seine Kinder in eine Woche Klassenfahrt verabschiedete.
Dann erschien hinten am Horizont ein Pulk, der kurz darauf in lustiger Anordnung in Richtung Eltern gerannt kam:

Erst nämlich, so die Erzählung, wurde die erste Reihe der zurück kehrenden Kinder ihrer Eltern gewahr und rannte diesen sogleich in die Arme.
Als sich nun eben diese erste Kinderreihe exakt so weit von der zweiten Kinderreihe entfernte, dass diese nun auch ihre Eltern erblicken konnte, da rannte auch die zweite Reihe los. Einige Sekunden vergingen, als nun auch die dritte Reihe los rannte und so weiter und so fort. Ella war übrigens Teil der letzten Reihe, freute sich dann aber doch, in ihre Mutter hineinzurennen und dabei - der Vater, der nicht dabei war, spekuliert hier mal ganz gewagt - lauthals zu schreien.

Große Freude also aller Orten. Oscar wurde auf Geheiß seiner Schwester direkt aus der Kita geholt, der Vater kam nun auch nach Hause und dann dauerte es immerhin noch eine gute Stunde, ehe sich zwischen Ella und Oscar der erste Konflikt auftat. Wir waren bereits auf dem Weg in den Garten, als der Vater anhalten musste. Hin und her wackelte der Kinderanhänger. Darin zwei heulende Kinder. Beide beschuldigten den anderen der körperlichen Gewaltanwendung. Verletzte Körperteile wurden dem Vater zum Beweis entgegengereckt. Die Fahrt wurde fortgesetzt. Ella und Oscar lachten.

Wie war es denn eigentlich auf Ellas Klassenfahrt? Nun. Die Möhre hatte großen Spaß, nie Heimweh, durfte "oben" schlafen, guckte sich Sonnenuntergänge an und schrieb uns eine Postkarte in gestochen scharfer Schrift und Sprache. "Liebe Familie Henn-Hoffmann", schrieb Ella und schloss später förmlich "Von Ella".

Anders als es auf dieser schönen Postkarte zu lesen ist, hat Ella sonst einen eher assoziativen Zugang zur Sprache.
Papa hatte während Ellas Monologs vorhin viel Zeit, das Sprech-Spektaktel seiner Tochter begrifflich einzuordnen und landete in Gedanken schließlich bei der Formulierung "Sprach-Brei".
Ellas Sprach-Brei wurschtelt sich meist bei Spaziergängen aus ihrem Schlund und windet sich in die Gehörgänge ihrer verzweifelten Zuhörer, meistens Mama oder Papa.
Vorhin, als Ella mit ihrem Vater den Viktoriapark betrat, begann das so: "Papa, wenn .... wenn .... wenn... zwei Kletterer ... also erwachsene Kletterer .... wenn ... die mit zwei Brotboxe... also .... ämm... wenn in den zwei Brotboxen dann ... ääh.. zwei Brote drin sind...."
Wir brechen hier ab und tun das, was der zuhörende Vater leider nicht konnte. Wir spulen vor und raffen den Inhalt des Sprach-Breis kurz zusammen: Besagte Kletterer würden im Viktoriapark auf der Wiese von der Kletterei pausieren können und in diesem Zusammenhang zwei Brote zu sich nehmen. Später sprach Ella davon, dass diese Kletterer eine Kletterschule gründen könnten, welche in etwa jeden Nachmittag zum großen Klettern lädt.

Als Ella und Papa den Viktoriapark verließen, sprach Ella gerade davon, dass die beiden Kletterer ein Flugzeug besäßen, mit welchem sie in 5 Metern Höhe umher flögen und ein Seil hinabließen, an welchem nun wiederum Kinder baumelten. Papa war fix und fertig vom vielen "Ja", "Aha" und "Oh" sagen. Die Frage, woher Ella ihre Eigenart hat, derart assoziativ und vor allem pausenlos zu erzählen, zu erläutern und zu palavern, steht unbeantwortet im Raum.

Oscar ist da anders - eher praktisch orientiert. Als ihm vorhin zur Nacht die letzte Windel der Packung umgeschallt wurde, da wurde er gefragt, wie das denn dann weitergehen würde, wenn die Packung leer ist. "Biste dann trocken?", fragte man ihn.
Oscar schüttelte den Kopf und lachte. "Nein."
Nachfrage: "Na was machste denn, wenn du nachts pieschern musst?"
Oscar: "Dann steh ich auf und kauf mir eine Windel. Im Windel-Laden".

Dienstag, 23. April 2013

Helm aus Frisur

Papas Handy klingelte: "Rate, wo ich bin", fragte Mama und Papa wagte es nicht zu hoffen... Doch es war Wirklichkeit: "Ich bin mit Oscar beim Friseur."

"Endlich", dachte Papa. Zuletzt wurde Oscar stets für ein Mädchen gehalten - die Versuche, ihn zum Haareschneiden zu überreden, verliefen seit Wochen erfolglos. Bis Oscar dann letzte Woche auf die Frage, ob er denn mal zum Friseur gehen möchte, nicht mehr mit einem gebrüllten "Nein" antwortete.
Er sagte stattdessen einen Satz, in dem so ziemlich alles enthalten ist: Dialektik, Scharfsinn, Eigensinn. Oscar sagte: "Ja, aber nur zum Spitzenschneiden. Dann wachsen die Haare danach schneller." Papa sah Mama böse an. Diese grinste dreist, und einen Tag später meldete sie sich also per Handy live aus dem Frisiersalon, in welchem - es kann nicht anders gewesen sein - Oscar gerade eine Salatschüssel auf den Kopf gesetzt wurde und im Anschluss einmal mit der Kettensäge drum herum gesägt wurde. Als Oscar den Friseursalon verließ, sah er aus, als hätte er einen Fahrradhelm auf. Einen Fahrradhelm aus Haaren, aus Frisur. Mittlerweile hat sich aber alles im wahren Wortsinn gelegt. Oscars Haare wissen so langsam, wohin sie sich legen sollen, damit Oscar total cool aussieht. Papa ist jetzt auch zufrieden.

Wie in einer Illustrierten für die Dame kommen wir nun vom Thema Beauty zum Thema "Wellness-Drinks"

Das Getränk heißt "Rhabarber-Schorle" und ist allein deshalb schon wirklich kurios, weil gar kein Rhabarber drin ist.
Für ein Glaserl Rhabarber-Schorle à la Oscar nehme man einen Teil Traubensaft (rot), gieße einen Teil Apfelsaft hinzu um eine diffuse Farbmischung zu produzieren und fülle dies mit etwa 5 Teilen Sprudelwasser auf. Fertig. Das Getränk sieht aus wie teure Rhabarber-Schorle und dies reicht unserem Sohn aus, ganz fest dran zu glauben, dass es sich auch um Rhabarber-Schorle handelt. Wenn uns unsere Erinnerung nicht täuscht, wurde damals in der DDR ähnlich verfahren: Exotische Dinge stellte man aus Hausmannskost her.

Weg vom Thema Schorle, hin zu den wirklich großen Dingen dieser Welt: Am Sonntagabend packte Ella einen Koffer, der in etwa so groß ist wie sie selbst, da sie einen Tag später auf große Klassenreise fahren sollte.
Am Montag war dann also großer Abschied angesagt: Fünf Tage lang müssen wir unseren Wirbelwind hergeben.
Der Wirbelwind steht aber gerade noch im Flur.Oscar wird erklärt, dass er Ella nun tagelang nicht sehen wird und er tut, was ein Mann in einer solchen Situation zu tun hat. Er greift zur Charme-Offensive, schnappt sich seine Schwester, umarmt sie so doll er kann und küsst dann etwa 30 Mal Ellas Auge.
Am selben Nachmittag noch fragte er das erste Mal, wie viel Tage es denn noch seien, bis seine Ella wieder da sein wird. "Fünf - wie heute früh", lautete die Antwort.

Vor der Schule war der Auflauf erwartungsgemäß groß. Koffer, Eltern und Kinder, wohin das Auge blickte. Die Koffer wurden verladen und die Kinder standen zumeist an den Oberschenkel von Mutter oder Vater gedrückt und blickten aus nassem oder zumindest sentimentalem Auge auf den Asphalt. Irgendwann setzte sich der Tross in Bewegung. Sentimentale Kinder winkten sentimentalen Eltern - nur ein Kind war nicht sentimental. Es hüpfte, sprang und lachte. Für Außenstehende sah es wohl so aus, das allein dieses eine Kind, es handelte sich übrigens um Ella, Grund hatte, sich darüber zu freuen, dass es endlich mal für fünf Tage von der Familie getrennt wurde. Ihre Eltern schämten sich und winkten fröhlich ihrer Tochter zu.

Zuvor entdeckten Ella und Oscar nach dezentem Hinweis ihres Vaters ein neues durchaus sinnstiftendes Hobby. Das Mahlen von Kaffeebohnen.
Es handelt sich um eine klassische Win-Win-Situation, denn sieht man davon ab, dass es hin und wieder auch zu kleinen Missgeschicken in der Kaffeemanufaktur unserer Kinder kommt, in deren Folge dann frisch gemahlener Kaffee weder in der Kaffeepulverdose noch in der Kaffeemaschine, sondern auf dem Sofa oder dem Teppich landet, sind doch die Kinder überglücklich und sehr stolz, echte Nahrungsmittel zu produzieren und die Eltern kommen in den Hochgenuss extra frischen Kaffees.

Berichten wir zum Abschluss dieses Blog-Eintrages noch kurz von Oscars Fußball-Passion. Diese geht nämlich soweit, dass Oscar in den äußerst ermüdenden Monologen seiner Mutter bezüglich der familiären Finanzgeschäfte interessante Fußball-Themen wittert.
Mama sprach also übers Finanzielle. Papa und Oscar dachten: "Oh Gott." und hörten angestrengt zu. "Bla bla bla bla", dozierte die Mama. "Bli Bla Blubb", ergänzte sie und Papa nickte ab und zu, wenn er glaubte, dass es passen könnte.
Mama sprach weiter "bla bla bla Hypo Vereinsbank bli bla blubb" - Hier zuckte Oscar zusammen. Er griff den Arm des fast schon dösenden Vaters. "Papa: Vereinsbank!""" Oscar strahlte. Papa freute sich nun auch. Beide, Papa und Oscar dachten fortan an Fußballvereine, während Mama weiter von irgendwelchen Zinseszinsen und Kontoauszüge palaverte. Alle waren glücklich in diesem Moment.

Übrigens gewinnt Bayern München zur Zeit ja jedes Spiel immer ganz hoch. 9:2, 6:1, 6:1 - das waren die Ergebnisse der letzten Wochen. An Oscar gehen derlei Superlative nicht ganz spurlos vorbei.
Man findet ihn beispielsweise im Flur mit einem Ball.
"Mama", erklärt er dann, "ich habe gerade Bochum gegen Union gespielt und Bochum hat 9:2 gewonnen." - Man braucht hier kein Psychologie-Studium um zu erkennen, was hier gerade alles so passiert ist in Oscars Schädel. Übertragung, Verdrängung, Mischung von Traum und Realität - der ganze Brei halt.

Die Realität holte unseren Sohn aber ein, denn kurze Zeit nach seinem "Bochum gewinnt 9:2"-Fantasie-Trip hockte er in sich zusammengefallen auf dem Parkett und drückte am Ball herum. "Bayern ist der beste Verein der Welt", flüsterte Oscar. Zu sich, ganz leise in die Welt. Mama und Papa sollten es nicht hören, aber raus musste es.

Dienstag, 16. April 2013

Köpfe in Truhen und Schüsseln

Es sind halt Geschwister. Die Ella und der Oscar. Wie gleich unsere beiden manchmal ticken, offenbarte sich an einem Nachmittag der vergangenen Woche.
Ella und Mama waren Einkaufen, Papa und Oscar hielten zu Hause die Stellung.

Und wohl in der gleichen Minute, in welcher Ella sich derart tief in die Kühltruhe des Supermarktes beugte, dass ihre Begleiterin befürchten musste, dass Ella im nächsten Augenblicke in die Truhe zwischen all die Pizzen und Torten gleiten würde, in genau jenem Augenblicke also fand auch Oscar Gefallen darin, seinen Kopf ganz tief zu versenken. Beide Kinder taten also - das finden wir niedlich - zur gleichen Zeit im Prinzip das Gleiche, allerdings mit dem feinen Unterschied, dass Ellas Kopf inmitten von hoffentlich hygienischen Artikeln baumelte, Oscars aber im Klo.

Der Vater begriff die Zusammenhänge erst relativ spät. Denn als der Vater im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, da wusste er im Prinzip, dass Oscar einen Klogang antritt. Der Vater ließ Oscar machen. Der Junge ist alt genug.
Dann fing Oscar an, seltsame Dinge zu brüllen. Dies ist aber keineswegs außergewöhnlich, denn unsere Kinder, vor allem eigentlich Ella, beginnen auf dem Klo stets zu skandieren oder zu erzählen. Oscar sprach übrigens irgendwas von "Blubberbläschen" - sein Stimme klang dumpf und hallend. Als wäre sein Kopf... Hier zuckte der Vater zusammen. Er stürzte ins Badezimmer und entfernte Oscar, der gerade seinen gesamten Kopf in die Kloschüssel hielt und dort drinnen die Blubberbläschen des Spülwasser lobpreiste.

Mama und Ella kamen vom Einkaufen zurück. Mama beschwerte sich über Ella. Sie habe mit dem Kopf in der Kühltruhe gehangen. Papa und Oscar hörten sich dies geduldig an und stachen mit der Klo-Geschichte Mama anschließend komplett aus.

Ein paar Tage später feierte man des Vaters Geburtstag. Ella beschenkte ihren Papa mit einem Bleistiftanspitzer-Hund und einigen Kunstwerken. Unter anderem arbeitete Ella bereits seit Februar an Einladungskarten, die ihr Papa nur noch ausfüllen muss. Das muss eine Höllenarbeit gewesen sein.
Oscars Planungen waren dagegen eher auf Kurzfristigkeit angelegt.

Oscar suchte am Vorabend in seinem Zimmer nach Dingen, die er seinem Vater schenken könnte. Seine Wahl fiel auf ein paar Pixis. Dass es sich in der Tat nur um "ein paar Pixis" handelte, ist der umsichtigen Mutter zu verdanken, die gerade noch rechtzeitig erkannte, dass Oscar nahezu sein gesamtes Bücherregal zum Verschenken freigegeben hatte. Wäre es nach Oscar gegangen, dann hätte sein Vater zum Geburtstag etwa 350 Bücher erhalten. Werke wie "Die Jahreszeiten" oder auch "Phillip und der Rauchengel" hätten den Besitzer gewechselt, aber Mutter intervenierte.

Einen Tag vor dem Geburtstag machte man einen Ausflug. Ziel war das überaus empfehlenswerte Schwimmbad in Lübbenau, in welchem man unter anderem neben echten Pinguinen schwimmen kann.
Hier hatten wir Spaß.

Ella und Papa probierten die Rutsche aus.
Rutschen-Ampel rot. Dann grün. Ella rutscht. Rutschen-Ampel natürlich wieder rot. Dann grün. Papa rutscht. Jippiiiee. Das fetzt! Hinter einer Kurve taucht Ella auf. Papa rutscht rein. "Was machst du denn hier?" - "Ich bin stehen geblieben".
Ella und Papa rutschten also den zweiten Teil der Rutsche ineinander verkeilt hinunter und sprachen noch währenddessen von Schulterblättern und Windschnittigkeit. Danach wusste Ella bescheid und rutschte fortan wie der Blitz.

Und Oscar? Der hatte 4 Schwimmbad-Stunden lang ein seliges Lächeln auf den Lippen und trieb - gehalten von zwei Cars-Schwimmflügeln - glücklich durch das Wasser. Am Ende log er. "Hat es dir gefallen?" - "Nein". Eiskalt.

Der Rückweg aus Lübbenau war ein Farce. Streckensperrung, mitten in Brandenburg. Letztendlich waren wir knapp 4 Stunden mit Taxi, Bahn, S-Bahn und Bus unterwegs.
Ella las in dieser Zeit fast ein komplettes Buch aus und Oscar zeigte wieder einmal tiefes Verständnis von dieser Welt:
Er erkannte das Problem ("Oh mein Gott, der Zug fährt nicht. Hier fährt ja gar kein Zug mehr... Und wir befinden uns im Nichts des Landes Brandenburg") und beschloss in tiefen Schlaf zu fallen. Es half.
Als Oscar wach wurde, saß er bereits in der Berliner S-Bahn.






Sonntag, 7. April 2013

Bücher, die Oscar später mal schreiben wird

Brandaktuell ist diese Information:
Oscar liegt an diesem Sonntagabend in seinem Bett und wird seiner Rolle als emotionalster Leser Berlins gerecht. In seinen Händen hält er einen fetten Wälzer namens "50 Jahre Bundesliga", den er sich laut eigenem Bekunden, hier irrt Oscar jedoch, aus der Apotheke ausgeliehen hat.
Dieses Buch ist - wie viele andere Bücher in Oscars Regal auch - äußerst beschreienswürdig. Ein paar Mal schon wurden an diesem Abend mal die Mutter und mal der Vater herbeigerufen, damit sie an den Ungeheuerlichkeiten, die in diesem Machwerk zu finden sind, teilhaben können. Zuletzt aber verlangte Oscar, wohlwollend durch einen galligen Schrei, dass der Vater noch ein weiteres Mal durch die gesamte Wohnung laufen und seinen Sohn zudecken möge. "Papa", sprach Oscar aufgeregt, als sein Erzeuger schließlich vor ihm stand. "'Ne schwierige Aufgabe: Deck mich zu." - es ist auffällig, dass sich Oscars Wortschatz in der letzten Zeit dahingehend verändert hat, dass er immer mehr Floskeln, wie zum Beispiel "Ne schwierige Aufgabe" formuliert. Vorhin - mitten beim Kuchenessen - sagte Oscar "was für eine stürmische Begrüßung".

Wir vermuten, all diese seltsamen Satzfetzen entstammen dem Textkorpus der "Benjamin Blümchen"-Reihe. Ella und Oscar beziehen ihren aktiven Wortschatz zu geschätzten 60-80% aus Benjamin-Blümchen-Formulierungen, wobei Ellas "Justin Bieber"-Schrei, den sie vorhin ausstieß, nicht dazugehören dürfte.

"Was hast du eben geschrieen?", fragte der Vater entsetzt?
"Justin Bieber."
"Kennst du den von L.?", fragte Papa noch immer fassungslos?
"Ist das ein Musikmann?", fragte Ella zurück und Papa verliebte sich ob dieser fantastischen Formulierung erneut in seine Tochter.
"Ja, Justin Bieber ist ein Musikmann."
"Dann kenn' ich ihn von L."
Alles klar, denn bei L., der großen Schwester von Oscars Freundin H., übernachtete gestern unsere Tochter.

Und während Ella also auswärts schlief und Oscar die Freuden des Einzelkinddaseins heute Morgen so lange genoss, bis er dann über seinen Vater, der den Kopf gerade in die Geschirrspülmaschine hielt, stolperte, hinfiel und trotz herzzereißenden Jammerns auch noch Ärger bekam, so von wegen: "Wie kannst du über deinen sich halb in der Spülmaschine befindenden Vater stolpern, der ist ja nun wirklich nicht zu übersehen?!"  Später verunfallte Oscar auch noch auf der Toilette. Er fiel einfach mitten im Verdauungsvorgang nach vorne und bremste mit seiner Augenhöhle an einem Hocker. Spektakulär - leider nur durch Oscars weinende Erzählung überliefert.
Sonst aber war Oscars Morgen durchaus gelungen und während er so genoss und hin und wieder weinte und Ella zwei Kilometer entfernt mit L. und H. frühstückte, war er plötzlich da: Der Frühling 2013.

Uns fiel der Garten ein. Schnell wurde Ella abgeholt und neben Oscar in den Fahrradanhänger gesetzt, auf dass beide zum Garten gezogen werden. Erkenntnis: Noch immer schafft es Papa, beide Kinder im Anhänger zu transportieren.
Die Mutter erklärte: Ella habe im letzten Jahr nicht zugenommen und Oscar habe abgenommen. Papa dachte: Das klingt nicht gut. Die Mutter aber war ganz unbesorgt, sprach von Oscars sich verflüchtigenden Babyspeck, woraufhin Papa davon erzählte, dass Oscar ja jetzt auch irgendwie ein richtiges definiertes Gesicht bekommt. Ja und da waren wir wieder alle selig.
Dennoch - trotz sich bildender Gesichter und immer leichter werdender Kinder - hat die Mutter eben fast unbemerkt von des Vaters Adleraugen nach Autos im Internet recherchiert. Irgendwann werden unsere Kinder schließlich wieder zunehmen und dann ist's Essig mit dem Fahrradanhänger. Dann muss ein Kfz her.

Papa fing gleich mal an zu träumen. "Wir könnten morgens einfach ins Auto steigen und nach Paris fahren." - Mama, zeigte sich, war ähnlich euphorisiert "Das machste sowieso nicht", nölte sie.
"Stimmt", sprach nun Papa. "Oscar bricht ja auch schon in Schöneberg" - hier mischte sich Oscar in die Planung der Paris-Reise ein: "Nee", sagte er, "ich brich erst in Paris." - Na dann.

Zum Abschluss folgende Beobachtung: Oscar hat schier unglaubliches Glück bei Gesellschaftsspielen. Er spielt stets sehr eigensinnig und - sagen wir - unorthodox und erzielt dabei ganz erstaunliche Ergebnisse.
Würfelt Oscar zum Beispiel beim Benjamin-Blümchen-Kniffel zweimal Otto und einmal Herrn Tierlieb, so entscheidet Oscar sich dafür, voll auf "Herrn Tierlieb" zu setzen - kein rational denkender Mensch kann ihn davon abbringen. Seelenruhig und sich der Sache sehr sicher würfelt Oscar im nächsten Durchgang natürlich noch weitere drei (!) "Tierliebs" und wird am Ende natürlich gewinnen.
Momentan spielen wir hier probeweise Monopoly. Oscar hat keinen Plan, ist aber mittlerweile rechtmäßiger Besitzer der teuersten Straßen und schon um einige Hunderter schwerer als sein Vater oder Ella, die sich zur Zeit ein Monopol in den eher zukunftsträchtigen Regionen wie der Moabiter Turmstraße aufbaut und deshalb schon fast pleite ist.

Ganz ähnlich war es am Samstag in der U-Bahn. Sie war voll.- Oscar schnappte sich schnell noch einen Sitzplatz - die Eltern standen, Ella war bereits beim Übernachtungskind L.
Die U-Bahn fährt in den Bahnhof Mehringdamm ein. Hier muss Oscar raus. Die Eltern staunen. Oscar steht tatsächlich auf und latscht zur Tür. Begeistert fragen sie ihn: "Hast du gehört/gesehen/gefühlt/gerochen, dass wir jetzt am Mehringdamm sind und demnach aussteigen müssen?" Oscar guckte wie ein Auto. Mehringdamm? Aussteigen? Ich? In Oscars Hirn, das soeben die komplett richtigen Befehle an seinen Körper erteilte, herrschte gähnende Leere. Wie beim Tierlieb-Würfel, wie beim Monopoly.
"Ahnungslos zum Erfolg" und "Aus Zufall das Richtige tun" werden die ersten beiden Bücher heißen, die Oscar in vielen Jahren zu schreiben hat.

Mittwoch, 3. April 2013

Brutzelnde Synapsen

Wenn das Badewasser einmal in der Woche in die Wanne plätschert und Ella sich bereits voller Vorfreude entkleidet, entscheidet sich Oscar, immerhin vierjährig, für das panische Schreien.
Man entfernt dennoch irgendwie die Kleidung von seinem um sich schlagenden Körper, lässt sich dabei ins Ohr brüllen und im schlechtesten Fall auch noch ins Gesicht treten, ehe man zum großen Finale ansetzen kann, welches darin besteht, den Sohn hochzuheben und ihn über der Wanne schweben zu lassen.

Langsam senkt man das wütende Bündel in die Wanne, woraufhin dieser beide Arme und beide Beine so weit vom Rumpf abspreizt, dass der sonst so kleine Herr Ausmaße annimmt, die verhindern, dass er in der Wanne versenkt werden kann. Ach ja: Man denke sich bitte nach wie vor den andauernden Schrei hinzu. So beginnt das Baden unseres Sohnes. Interessante Randbemerkung: Menschen, die an Tollwut leiden, ekeln sich vor Wasser. Das ist tatsächlich so...

Irgendwie gewinnen wir ja dann doch immer. Oscar wird überwältigt und findet sich schließlich vergewaltigt in der Wanne wieder, schließt nach kurzem lauten Protest dann aber schnell Freundschaft mit dem sonst so verhassten Element.

Er planscht dann fröhlich und setzt gemeinsam mit seiner Schwester das gesamte Badezimmer in einer Form unter Wasser, dass, hätte man einen 2,50m Seehund darin walten lassen, unser Badezimmer nicht hätte schlimmer aussehen können.
Ironie ist dann, dass Oscar meistens wieder fürchterlich schreit, tritt und tobt, wenn er aus der Wanne herausgehoben wird.

Warum erzählen wir das alles? Eigentlich nur um folgenden Kontrast aufzubauen: Als die gesamte Familie in der letzten Woche im Stadtbad Schöneberg gastierte, da rannte ein kleiner Junge aufgeregt ins Kinderschwimmbecken und hüpfte bei den ersten - übrigens im Vergleich zur heimischen Wanne kühleren - Tropfen voller Ekstase. Ella stürmte aus der Damenumkleide hinzu und grunzte ebenfalls vergnügt. Später bewies sie uns Lebenswichtiges: Sie kann nun tatsächlich schwimmen.
Irgendwann sah man die gesamte Familie sogar die riesige Wasserrutsche hinabsausen - Wasserangst, Tollwut gar lag Oscar so fern wie Ella. Nur als Mama mit ihrem Sohn auf dem Arm bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in den Außenbereich des Stadtbades schwamm, hörte man den Knilch ein bisschen jammern.

Spulen wir mal schnell die anderen Ereignisse dieser eiskalten Osterferienwoche vor: Kino, Zoo, Oma. Alles super. Schon ist Samstag.

Samstag: Der VfL Bochum gastiert - schon vor dem Anpfiff chancenlos - in Berlin. Papa und Oscar pilgern in den Gästeblock, in welchem sich Oscar kurz beeindruckt zeigt und vom Vater danach noch einmal genau zeigen lässt, wo die Guten und wo die Bösen sind. Dann geht's los: Hertha gewinnt, während Oscar die ganze Zeit über singt "Hertha verliert!" - Das ist Fußball.
In den vielen vielen Vorbereitungsgesprächen zwischen Oscar und Papa zeigte Oscar übrigens etwas, das ihm bis dahin vollkommen fremd war: Scham.

Oscar hörte sich des Vaters Plan an: Dieser  nämlich wollte beim Stande von 5:0 für den VfL Bochum komplett entkleidet über das Spielfeld rennen. Erst lachte Oscar darüber, während aber zeitgleich in seinem Zentralen Nervensystem die Synapse "Scham und Peinlichkeiten" ausgeprägt wurde. Nach diesem kurzen Brutzler in seinem Hirn dachte Oscar plötzlich anders über den entkleideten Vater im Stadion. Er griff sich den Erzeuger, guckte ihn ernst an und verbot ihm das Vorhaben. Oscar schämte sich für seinen Vater. Dieses seltsame Gefühl war ihm bislang vollkommen fremd.

Im Anschluss an das Spiel - der VfL Bochum führte zu keinem Zeitpunkt 5:0, was der Vater kühn einkalkulierte - fuhr die Familie über Ostern nach Weimar, wo der Osterhase zumindest aus Oscars Sicht ins Schwarze traf. Oscar nämlich verbringt seitdem seine massige Freizeit damit, mit seiner Looping-Rampe für Autos zu spielen. Dafür nahm er dann sogar die unverhofft auftretenden Prügel-Attacken des gastgebenden Kindes in Kauf.

Ella dagegen erhielt den erst für den Geburtstag erhofften Webstuhl und quält sich seither mühsam mit so Wollspindeln durch irgendwelche Fäden. Es ist ein Geduldsspiel. Ob Ella und der Webstuhl wirklich Freunde werden, steht noch in den Sternen.