Sonntag, 29. Januar 2012

Flucht und Verzicht. Kindheit in Deutschland 2012.

Den sieben Menschen, die in der letzten Woche den Blog angeklickt haben, ist sicher schnell folgendes aufgefallen: Es gab keinen neuen Blog. Und hier kommt die Begründung: Der Vater reiste am vergangenen Freitag mit mehr als 60 Elftklässlern nach Prag und konnte deshalb am Sonntag nicht bloggen.
Oscar selbst sorgte übrigens dafür, dass eben jene Menschenmenge nicht wie gewöhnlich von Montag bis Freitag auf Klassenreise fuhr, sondern von Freitag bis Dienstag. Denn am Mittwoch hatte Oscar Geburtstag. Papa wollte dabei sein, und deshalb fuhren mehr als 60 Schüler schon früher nach Prag.

Von der Zeit vor Papas Reise ist nicht viel zu berichten, abgesehen vielleicht von Oscars großem Gequengel beim Abendbrot vor Papas Abreise. Oscar äußerte einen Wunsch, den der Papa zu erfüllen nicht bereit war. Es flossen Tränen. Papa blieb aber stur und sollte dies später damit begründen, dass a) man dem jungen Herren nur dann jeden Wunsch erfüllen solle, wenn man gewillt ist, ihn gezielt zu einem Tyrannen zu erziehen und dass b) die Erfüllung dieses konkreten Kinderwunsches nur unter Verlust jeglicher Würde vonstatten gehen könne.

Der Mutter war dies egal. Ohne weiter über Tyrannen oder Würde nachzudenken, erfüllte sie Oscars Wunsch und goss ihm Maggi in den Vanillejoghurt.
Beim Anblick des weißen Joghurts mit dem - nun ja, raffinierten - Topping geschahen folgende Dinge: Oscar hörte augenblicklich auf zu weinen und speiste genüsslich Vanillejoghurt mit Maggi. Papa unterdrückte erfolgreich seinen Brechreiz. Mama widmete sich anderen Absurditäten des Alltags.

Papa fuhr dann also nach Prag, ohne wirklich geordnete Verhältnisse zu hinterlassen. Aber - so die Mutter in ein paar E-Mails - die Familie konnte auch zu dritt wunderbar durchs Leben gehen.
So gab es eigentlich nur einen größeren Patzer. Dann nämlich, als Oscar bei IKEA plötzlich weg war, nachdem Mama wohl eine Sekunde zu viel in ihren Hot Dog starrte. Wurst und Röstzwiebeln da. Oscar weg.

Schnell wollte Mama mit diesem Problem nicht mehr alleine sein. Die IKEA-Mitarbeiter fanden das mit Oscars Verschwinden auch ganz interessant und positionierten sich sofort vor jedem einzelnen Ausgang. Für zwei Minuten ging es der gesamten Belegschaft von IKEA Schöneberg mal nicht um Ivars oder Bennos, sondern nur um einen kleinen Jungen in karierter Jacke, so die detaillverliebte Beschreibung der Kindsmutter.
Schnell tauchte Oscar aber wieder auf. Der Kleine sei in der Tiefgarage des Hauses wohl irgendwie auffällig geworden. Oscar stand dann also wieder vor der Mutter und während die IKEA-Leute nun wieder zum tristen Möbel-Alltag übergingen, zeigte der Flüchtling keine Zeichen von Reue oder Panik. Oscar schmiegte sich im folgenden sehr lange sehr doll an einen Schenkel der Mutter. Das war alles.

Als Papa wieder da war, wurde Oscar plötzlich drei. Die obligatorische Blechtrommel nahm Oscar ebenso in Empfang wie diverse andere Präsente. Danach ging es in den Garten Eden aller Kinder und Männer: Eine Miniaturwelt mit vielen Zügen und Knöpfen.
Am Nachmittag wurde dann Oscars Hochbett zusammengeschraubt und seither liegen unser Kinder in etwa auf der gleichen Höhe. Hochbett links. Hochbett rechts. Die Kinder sind begeistert. Am nächsten Tag wachten die Eltern auf und im Elternbett lagen: Mama. Papa. Ella. Oscar.

A propos Ella: Ella hat für sich beschlossen, ab jetzt so richtig groß zu sein. "Groß sein" bedeutet für Ella scheinbar: Verzicht, Kasteiung und Entbehrung.
Am Abend geht's immer los: Nein, Ella möchte nicht fernsehen. Nein, Ella will keine Gute-Nacht-Geschichte mehr hören. Nein, Ella will keine CD mehr hören.

Traurig daran ist, dass diese drei Dinge große Eckpfeiler in Ellas Leben sind. Ella, die zum Beispiel weder gerne isst noch gerne spielt, bezieht rund 80 % ihrer Vergnügungen aus dem Fernseher, aus Vorlesegeschichten und aus Hörspielen.

Geht man aber jetzt gegen Abend ins Kinderzimmer, so findet man dort ein Kind vor, dass sich selbst umgezogen hat, dass sich die Zähne geputzt hat und dass nun im Bett liegt und an die Decke starrt, während der CD-Player aus ist und Oscar nebenan noch "Maulwurf" auf DVD guckt. Seltsam.
Papa überredet Ella dann regelrecht zu Vergnügungen, sodass er ihr heute doch noch vorlesen durfte (Ella zu Papa: "Aber nur zwei Seiten !!!!!") und ihr auch noch eine CD einlegen durfte.

Wir finden Ellas Verhalten derzeit regelrecht pubertär. Wir sehen sie in acht oder zehn Jahren vor uns, wie sie in grenzenloser Kasteiung zur Vegetarierin mutiert und ihren Familienmitgliedern ihren stillen Protest vorwurfsvoll schweigend entgegen bringt.

Und nun der traditionell lieblose Schlussabsatz: Oscar feierte mit der gesamten Familie, aus finsteren und großartigen Gegenden Berlins und Nordrheinwestfalens angereist, seinen Geburtstag. Er erhielt Geschenke. Ella blieb seltsam. Sie sagte, sie möchte im nächsten Jahr nicht mit der Familie feiern. Sie liebt den Verzicht. Das Berufsinformationszentrum rät: Nonne oder Polarforscher.

Montag, 16. Januar 2012

Wenn der Strohrum alle ist, müssen die Kinder ins Bett

Als Ella am Samstagabend noch mal kurz aus dem Bette stieg - eine Eigenart, die sie an manchen Abenden bis in den zweistelligen Bereich ausführt: mal um zu pinkeln, mal um den Eltern ihre Liebe zu gestehen, mal um zu jammern - als sie also auch an diesem Samstagabend aus dem Bette stieg, fand sie neben ihren Eltern noch weitere drei Personen im Wohnzimmer vor. Die Erwachsenen waren um einen Tisch angeordnet, auf dessen Mitte ein großer Topf stand. Jemand goss eine Flüssigkeit hinein und eine Flamme schoss empor. Was man halt abends so macht...

"Das ist eine Feuerzangenbowle, Ella", lallte da jemand. Ella war beeindruckt. Ihren ursprünglichen Grund des abendlichen Aufstehens artikulierte sie nun gar nicht mehr. Mit offenem Mund setzte sie sich in großem Abstand zur Feuerquelle und ließ ihren Vater über die Brennbarkeit verschiedener Flüssigkeiten referieren.
Ella weiß jetzt, dass Strohrum brennt, dass Bier nicht brennt und dass Erwachsene manchmal am Samstag Strohrum über einen Zuckerkegel gießen und diesen dann unter nahezu meterhohen Flammen zu schmelzen gedenken auf dass ein Getränk dabei heraus kommt, dass auch nicht wesentlich anders als Glühwein aus der Mikrowelle schmeckt. Aber wer nun einmal in Besitz einer Feuerdecke und eines Feuerlöschers ist, der erhitzt seine Getränke nicht in der Mikrowelle. Ella weiß all dies nun. Gerade noch rechtzeitig vor der Einschulung. Nach etwa dreißig Minuten war das Spiel mit dem Feuer übrigens vorbei. Ella verstand: Der Strohrum ist alle. Ich geh ins Bett.

Dass die Eltern Besuch hatten, ist übrigens eine nicht zu verachtende Randinformation des bisherigen Blog-Eintrags. Oft nämlich diskutieren wir hier nämlich, wer von Ellas Eltern dem Töchterlein denn die Gastfreundschaft vererbt hat, die Ella häufig sehr gut hinter einer eisigen Miene zu verstecken versteht.

Eine Essenz dieser Gastunfreundlichkeit wurde zuletzt in Richtung Ela Maya aus Magdeburg versprüht. Diese kam nämlich für zwei Stunden zu Besuch. Und wie schon vor ein paar Tagen, als beide Mädels gemeinsam Silvester feierten, gierte Ela Maya nach sozialem Kontakt und gemeinsamen Spiel, während Ella all dies komplett ablehnte. Hektisch übersetzten die Eltern Ellas ekelhaftes Verhalten in die Elternsprache ("Sie braucht halt immer ein bisschen um warmzuwerden...").
Jedes Kind spielte dann für sich, bis Ella zeigte, dass sie innerfamiliär durchaus zu gemeinsamen Spielereien in der Lage ist und mit ihrem Bruder Pferd und Reiter spielte. Ella war dankenswerter Weise das Pferd und Oscar hoch zu Ross. In dieser Formation ritt man dann am alleine spielenden Besuch laut jubelnd vorbei.

Doch ist Ella nicht immer so ungastlich. Überhaupt ist sie hier so etwas wie "Die Tür", die man von Szene-Discos kennt. Wenn es klingelt, entscheidet Ella, ob die Tür geöffnet wird oder nicht. Draußen steht sowieso immer nur ein Kind. Oscar kommt noch nicht an die Klinke. Also entscheidet Ella über den Einlass. Abgestumpft und von tiefen Falten durchzogen ist es ihnen mittlerweile egal, wie viele Nachbarskinder durch die Wohnung jagen. Es ist eigentlich auch egal, ob die eigenen noch darunter sind. Dies wird für alle Erwachsenen hier im Haus immer erst zur Abendbrotzeit interessant. Da will man dann schon dem eigenen Kind die Wurst darreichen.

Am Donnerstag - der Vater war nicht zugegen - war es besonders kompliziert, die Kinder wieder den richtigen Wohnungen zuzuteilen:
In der eigenen Wohnung, nennen wir sie Wohnung A, befanden sich Kinder, aber nicht die eigenen (A), sondern die aus einer Nachbarwohnung (B). Mama ging also hinunter zum Nachbarn (B) und fragte nach Ella und Oscar. Es seien zwar durchaus Kinder (C) in der Wohnung, sagte dieser, doch handele es sich dabei weder um seine eigenen (B) noch um Ella oder Oscar (A). Geschehen war dies am Donnerstag, dem Tag, an dem kein Kind in der eigenen Wohnung spielte und dennoch in jeder Wohnung Kinder waren. Ella und Oscar waren demnach wohl in der Wohnung C, allerdings ohne die dort wohnenden Kinder anzutreffen, denn die waren ja gerade in Wohnung ähhhh... B.

In Oscars Welt ist auch so einiges passiert. Beispielsweise wird er derzeit morgens immer gleich auf die Toilette gesetzt. Erst schimpft er ("Ich will nichts machen..."), dann erhält er einen Playmobil-Prospekt und dann versinkt er in dieser feinen Lektüre. Der Rest der Familie frühstückt dann schon mal, ehe Oscar Vollzug vermeldet. Wir sind gespannt, wann wir die letzte Windel unseres Lebens schnüren müssen... Der Playmobilkatalog hilft jedenfalls schon ganz gut mit, dieses Ziel bald zu erreichen.

Am Sonntag fuhr die gesamte Familie ins Theater. Bevor Mama und Papa den Zuschauerraum betraten, übernahm eine theatereigene Kinderbetreuung Ella, Oscar und drei weitere Kinder. Und während auf der Bühne über einen zerbrochenen Krug gestritten wurde, ließen Ella und Oscar sich toll schminken. Ella war Prinzessin und Oscar so eine Art Eulengespenst. Zuvor, dies zeigt das letzte Bild, war er auch mal Zebra, seine Lieblingsrolle.




Sonntag, 8. Januar 2012

Was "Wellness" heißt

Ein kurzer Blog-Eintrag droht. Und auch die Bilder, aus denen wir immer deren sechs für den Blog auswählen, waren von recht überschaubarer Anzahl, weshalb es in dieser Woche auch erstaunlich nichtssagende Bilder in die Top6 geschafft haben.

Warum gibt es kaum etwas zu erzählen? Warum wurde kaum fotografiert? Nun. Familie Hoffmann machte einen Wellness-Kurzurlaub. Diesen verbrachte man allerdings nicht zusammen, sondern man teilte sich auf, sodass diejenigen, die hier immer fotografiert werden von demjenigen, der immer fotografiert, weit entfernt waren.

"Wellness" hieß für Mama und Papa nämlich: Urlaub in einem hochwertigen Hotel mit großem Saunabereich. Am Abend dinnierte man, am Morgen frühstückte man in einer Art und Weise, die man längst verloren glaubte. Ausführlich nämlich und ohne Geschrei und Tränen. Dazwischen saß man in der Sauna, in welcher auch niemals getobt oder getreten wurde, hier und da ging man auch ins Schwimmbecken, wo kein Kind zu ertrinken drohte oder jeden einzelnen Wasserspritzer bekreischen musste. Kurzum: Es war wirklich Wellness.


"Wellness" hieß für Ella und Oscar an diesem Wochenende dagegen: Oma kommt!
Jubelnd wurde diese in Empfang genommen, und während sich Mama und Papa Richtung Brandenburg verabschiedeten, genossen Ella und Oscar ihr Rundumprogramm. Oma spielte, Oma fuhr mit den beiden nach Lichtenrade, wo Opa auf dem Sofa saß ("Ella, saß Opa wieder die ganze Zeit auf dem Sofa?", fragte Papa. "Nein", sagte Ella, "er hat nicht nur auf dem Sofa gesessen. Er hat auch mal Mittagsschlaf gemacht.") Oma wusste, wie man den KiKa anmacht, Oma konnte Holzschienen zusammenstecken, Oma bereitete wunderbares Essen zu. Ella und Oscar waren jedenfalls bestens versorgt.

Für Oma hieß "Wellness": etwa 36 Stunden die heißgeliebten Enkel für sich zu haben. Abends mit ihnen bei "Benjamin Blümchen als Bäcker" einzuschlafen und morgens neben ihnen wachzuwerden und gleich kuscheln zu dürfen/müssen. Dass so etwas aber nie so romantisch ist, wie es klingt, weiß Oma jetzt auch, denn während Ella eine morgendliche Massage (-> Wellness) verlangte, wollte Oscar in herkömmlicher Weise kuscheln, was für Oma, die entgegen jeder Erwartung auch nur mit zwei Armen ausgestattet ist, nicht einfach zu bewerstelligen war.

Zudem schoben sich die drei, von denen hier gerade die Rede ist, für die Nacht zwei Matratzen zu einer Liege- und Schlaflandschaft zusammen, weil kein Kind auf seine Matratze verzichten, aber beide neben Oma liegen wollten. Hierbei entstand ein spürbarer Höhenunterschied zwischen den beiden Matratzen, weshalb die am Morgen vollkommen überbuchte Oma (Massage links, Kuscheln rechts) bereits am Abend in extreme Schieflage geraten sein musste. Oma wäre aber nicht Oma, wenn sie nicht all dies ohne einen Funken des Selbstmitleids oder einer Beschwerde erzählen würde. Sie scheint diese Nacht wirklich genossen zu haben. Schief liegend.


Aber auch die Eltern, in mancher Hinsicht ja dann doch anders als Großeltern, erfüllen auch die krudesten Wünsche. Eine absolute Top-Szene spielte sich deshalb am Samstagmorgen beim Frühstück ab, kurz bevor Oma kam.
Seit Monaten ist es eine liebe Tradition bei uns, dass kurz vor dem Frühstück ein riesiges Durcheinander herrscht, weil vor allem Oscar auf bestimmte Farben seiner Frühstücksutensilien besteht. Momentan befindet sich der Herr in einer Orange-Phase. Andere Farben werden angeschrieen. Schnell werden dann natürlich der Teller, der Becher und das Messer ausgetauscht. Am Samstagmorgen ging dies aber nicht. "Oscar, das orangefarbene Messer ist schmutzig", erläuterte Mama ihrem fassungslosen Sohn. Dieser tobte. Er tobte rund zwei Minuten und gurgelte dabei immer wieder etwas vom Messer.

Mama ging - um das Frühstück zu retten - zur Geschirrspülmaschine, griff das schmutzige orangefarbene Messer, spülte es ab und reichte es Oscar. Oscar betrachtete das Messer kurz, schmiss dann seinen Kopf wütend zur Seite und brüllte: "Ich will das schmutzige orangefarbene Messer." Während Papa daraufhin erstarrte, griff Mama geistesgegenwärtig das saubere Messer, strich damit einmal kräftig durch Schmierkäse und reichte Oscar nun das erneut stark beschmutzte Messer. Oscar hörte sofort auf zu toben, griff befriedigt nach dem widerwärtigen Messer und schmierte sich damit ein Nutella-Brot. "Befehl von ganz unten", heißt diesbezüglich das neue Album von Deichkind.

Montag, 2. Januar 2012

Zweierlei Milch


Das Jahr 2012 war erst wenige Stunden alt, da gewährte uns Oscar einen tiefen Einblick in sein bei Lichte betrachtet noch recht unfertiges Hirn:
Am Frühstückstisch in Magdeburg, wo man den Jahreswechsel beging, orderte Oscar einen Kakao. Der Kakao, so Oscar schon leicht wimmernd in Richtung Küche, möge aber kein Kakao aus Kakaopulver sein.

Oscar bekam das Getränk gereicht. Es handelte sich um normale Milch. Kuh-Milch, wie Oscar immer betont, um klarzustellen, dass er keine Waranmilch oder Antilopenmilch möchte.
In diese Milch kippte nun jemand Kakaopulver. Oscar war entsetzt. Das neue Jahr war um 10.00 Uhr an diesem 1.Januar schon im Eimer. "Keinen Pulverkakao" schluchzte Oscar und niedliche Tränen rannen über sein Gesicht. "Ich will Kakaomilch."

Langsam dämmerte es in den verkaterten Schädeln der Erwachsenen. Hier unterscheidet jemand zweierlei Arten von Milch, die nichts miteinander gemein haben: Zum einen ist da die Kuhmilch. Zum anderen ist da die Kakaomilch, die demnach nicht von der Kuh stammt. Kippt man nämlich Kakaopulver in Kuhmilch, so erhält man keineswegs Kakaomilch, sondern Milch mit Kakaopulver. Wahrscheinlich verhält sich Kakaomilch zu Milch mit Kakaopulver ungefähr so wie echter Käse zu Analog-Käse. Gut, dass wir das wissen.

Während Oscars Eltern ob dieser Logik im Hirn des Sprosses die Augen verdrehten, schalteten die anhaltinischen Gastgeber schneller. "Oscar", der Vater von Ela Maya und Till aus Magdeburg, beugte sich vertrauensvoll über Oscars tränennasses Gesicht. "Du willst Kakaomilch, oder? Keine Milch mit Kakaopulver. Richtig?"
Oscar nickte bei jedem Wort. Endlich hatte er einen Erwachsenen gefunden, mit dem man ernsthaft reden kann. Der Erwachsene verschwand und kam zurück mit einer Flasche, die er - da sind sich die Berliner Erwachsenen sicher - außerhalb von Oscars Blickfeld kurz bearbeitete. Die zuvor weiße Flüssigkeit war nun nämlich braun.

"Oscar", der vertrauenswürdige Erwachsene kam zurück. "Ich hab im Keller noch eine Flasche Kakaomilch gefunden. Willst du davon trinken?" Oscar fand den Erwachsenen mittlerweile unglaublich gut. Er nickte, trank und war wieder glücklich.

Das Silversterfest wenige Stunden zuvor hat er allerdings nicht zu 100% miterlebt. Beide, Ella und Oscar sind irgendwann zwischen 23 und 00 Uhr eingeschlafen. Ella konnte kurz vor Mitternacht erfolgreich geweckt werden, bei Oscar musste akzeptiert werden, dass sich unter dem lauten Gegröhle des Vaters lediglich ein Augenlid öffnete, dieses aber glasig und schlafend starr in die Nacht starrte. "Guck", log das Auge "ich bin wach".

Bevor man nach Magdeburg reiste, führte der Weg nach Nordrhein-Westfalen, wo Ellas und Oscars Uroma teilweise so heftig von ihren Urenkeln angekuschelt wurde, dass man sich direkt Sorgen um den generationsübergreifenden Haufen machen musste. Als in Bergkamen dann noch die Oma samt Miet-Opa besucht wurde, tippte sie in ihr Navigationsgerät "Kindermuseum Dortmund" ein und öffnete Ella und Oscar damit Tür und Tor in einen Hektar voller Knöpfe, Stoffe, Monitore und Eimer.

Vor allem die Eimer waren von zentraler Bedeutung. Oscar musste mit ihnen ein Dorf retten. Papa erklärte in professioneller Erdkundelehrer-Manier die Grundproblematik. "Hier Oscar", man stand vor einer Drehscheibe. "Siehst du dieses Dorf mit seiner üppigen Vegetation? Toll ist das, oder?" Oscar nickte staunend. Überall grüne Bäume. Doch dann... Papa drehte an der Scheibe... (Was ihm später vom herbei eilenden Personal des Museums untersagt wurde.)
Die üppige Vegetation verschwand, ein tristes und versandetes Dorf tauchte auf. Papa erläuterte kurz Ursachen und Folgen der Desertifikation. Oscar guckte. Dann sagte Papa: Wenn du jetzt dieser blauen Linie hinterherrenst, findest du dort hinten blaue Kissen im Brunnen. Die sind das Wasser. Das musst du in Eimern herholen, dann geht es dem Dorf wieder super. Oscar entdeckte dann tatsächlich eine blaue Linie und rannte ihr nach. In der nächsten Stunde sah man im Kindermuseum Dortmund ein Kind unfassbare Leistungen vollbringen. Die Färbung des Kopfes und der Rhythmus der Atmung waren besorgniserregend, aber der Retter hielt durch. Das Dorf hatte Wasser. Für mehrere Jahre. Oscar schnappte nach Luft.

Ella, die in diesem ersten Eintrag des Jahres bislang eine Nebenrolle spielt, erlebte auch tolle Dinge. Beispielsweise hat sie viel ferngesehen, und das ist schließlich Ellas Lieblingsbeschäftigung. Dass Ella aber über irgendeinen Punkt hinausgeschossen ist in der letzten Zeit, wurde spätestens klar, als sie heute dem Vater drohte: "Entweder ich darf jetzt fernsehen oder ich verschwinde". Die Reaktion des Vaters war keinesfalls Panik, wie Ella sich vielleicht angesichts ihres angekündigten Verlassens der Familie erhofft hat. Nein, der Vater lachte und nahm sich Stift und Zettel. "Schreibst du das jetzt auf mit dem Fernsehen und Verschwinden?", fragte Ella unsicher. "Ja", sagte der Vater und hinterließ eine ratlose Tochter auf Entzug.

Entzug hatte Oscar übrigens auch. Irgendwann nämlich war Schluss mit Schokoweihnachtsmännern und dem ganzen Weihnachts-Süßkram. Der Teller, in den Oscar tagelang jederzeit hineinlangen durfte, wurde entfernt. Für Oscars Magen war dies eine Veränderung von einer Größenordnung, die nicht unterschätzt werden darf. Und so kam es, dass unser Sohn am Tag 1 nach dem Schokoladeentzug Durchfall hatte. Er verträgt das Leben ohne Süßigkeiten einfach nicht.