Montag, 26. Dezember 2011

Triefnasse Harmonie

Der Weihnachtsmann kam, nachdem Ella vermutlich vor Aufregung in eine Art Nervenleiden mit den Symptomen Bauchschmerzen und leichtes Fieber verfiel, pünktlich um 16:30 Uhr und sprach schwäbischen Dialekt. Er setzte sich und blickte in sein goldenes Buch. Selber leicht nervös las er lobenswerte Dinge über Oscar vor. Diese erfuhr er zwei Wochen zuvor am Telefon von Oscars Mutter.
"Oscar", stammelte diese damals von der Frage nach den guten Seiten ihres Sohnes vollkommen, "Oscar ist.... äh.... Oscar ist ein lieber Junge."
"Ein lieber Junge", sagte sie. So sprechen Leute, das durchblickte wohl auch der Weihnachtsmann, die statt eines Sohnes eine wahre Knalltüte zu Hause haben. Eine Knalltüte, die den ganzen Tag lärmend durch die Wohnung rennt, seit Monaten immer auf den Füßen und Armen seiner Eltern steht (vielleicht ist ihm der Fußboden zu kalt) und die seit Anfang Dezember nur noch Schokolade isst.
Mama fügte noch hinzu, dass Oscar gerne mit seinen Eltern kuschelt, verschwieg aber
die absurden Uhrzeiten, zu denen Oscar kuscheln möchte. Zwischen 7.00 Uhr morgens und 2 Uhr nachts hat er dieses Bedürfnis jedenfalls nicht so häufig.

Der Weihnachtsmann blickte also in sein Buch und las vor: "Oscar ist ein lieber Junge, der gerne mit seinen Eltern kuschelt. Wenn er jetzt noch die Windel ablegt, ist er ein richtig großer Junge."

Diesen letzten Satz verstand Oscar aber nicht als Kritik. Erstens hörte er gar nicht richtig hin, denn vor dem Weihnachtsmann lag ein Geschenk, welches Oscars Aufmerksamkeit absorbierte und zweitens legt Oscar neuerdings ja ohnehin die Windel ab. Mitten in der Nacht ist es, wenn Oscar sich daran macht, sich von der Windel an entscheidender Stelle zu emanzipieren. Dazu holt er einen kleinen Teil seines Körpers von etwa drei Zentimetern Länge aus der Windel heraus und schläft glücklich weiter. Am nächsten Morgen sind dann alle nass: Oscar von oben bis unten. Papa und Mama auch großflächig, denn vor Morgengrauen kuschelt Oscar sich ja immer an die Eltern. Triefend nasse Harmonie.

Über Ella dagegen stand im goldenen Buch des Weihnachtsmannes, dass sie ein bisschen stiller sitzen solle. Ella hörte sich dies still sitzend an, doch das Winden und Verbiegen ihres Körpers hat nach ersten Beobachtungen unverändert Bestand.

Die Geschenke, die der Weihnachtsmann brachte, waren großartig. Oscars Leben hat sich durch den Erhalt einer batteriebetriebenen Lokomotive grundlegend gewandelt, denn der Herr muss seine Holzzüge nun nicht mehr selber schieben, sondern lediglich als eine Art Gleiswart neben dem Zug herlaufen und diesen im Falle einer Entgleisung schnell aufrichten.Körperhaltung und Bewegungsabläufe dieses Gleiswartes sind nicht immer bar jeder Komik.
Häufig stellt sich Gleiswart Oscar schon an den nächsten Brennpunkt der Gleisanlage. Man kennt ja mit der Zeit die Unfallschwerpunkte. Oscar steht dann mit dem Rücken zum sich nähernden Zug und guckt unter Zuhilfenahme komplizierter Kopf- und Augenbewegungen zurück auf das Holzgefährt und greift dann ein, wenn der Zug tatsächlich aus den Schienen springt.

Ella dagegen ist nun stolze Besitzerin eines MP3-Players, der Benjamin-Blümchen-Hörspiele von sich gibt. Auch hier ist ein voller Erfolg zu vermelden, denn während Oscar dem nun von ihm fast unabhängigen Holzzug hinterherstarrte, saß Ella still und ohne sich zu winden in ihrem Zimmer und hörte MP3. Die Eltern befanden sich in einer völlig unerwarteten Situation. Verlassen von den beschäftigten Kindern kam Ruhe, Besinnlichkeit und Zweisamkeit auf. Es war eine dreifache Zweisamkeit: Mama und Papa, Ella und ihr MP3-Player und Oscar und die surrende Lokomotive.

Am nächsten Tag ging es zu Oma Berlin, wo weitere Weihnachtsgeschenke die Kinder zunehmend durchdrehen ließen.  Für die kommende Woche, die von einem Besuch bei den Omas in NRW und dem Silvesterfest in Magdeburg geprägt sein wird, ist keine Abkühlung der Gemüter zu erwarten. Wie wir den derzeit vollkommen schokoladenabhängigen Oscar wieder auf vernünftige Nahrung umstellen werden, wissen wir auch noch nicht.

Ella und Oscar wünschen allen Lesern einen guten Rutsch ins neue Jahr. Neben der Sache mit der Windel und der Sache mit dem Stillsitzen, die der schwäbische Weihnachtsmann ansprach, ist im Jahre 2012 vor allem die Klärung der Bettenfrage von Bedeutung. Wollte vor einigen Tagen noch keines unserer Kinder im Hochbett schlafen, weshalb die Eltern schon ungute Schwingungen vermuteten, die dieses Bett ausstößt, so hat sich die Situation nun komplett gewandelt. Ella und Oscar wollen jetzt nämlich beide immer dort oben schlafen. Nicht mehr "nie", sondern "immer" lautet also die Parole. Die Eltern kommen verständlicherweise kaum noch nach bei den kreativen Bedürftnissen unserer Kinder.  Die momentane Lösung ist ein Wechsel: Eine Nacht der, eine Nacht die. Wie seit fünfeinhalb Jahren ist aber auch diese Schlafsituation nur eine Zwischenlösung, das ist uns klar.

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