Sonntag, 27. Februar 2011

Zum Beispiel das Verprügeltwerden

Papa weiß nicht genau, wie viele Frauen auf dieser Welt alles dafür geben würden, eine Nacht mit ihm in seinem neuerdings relativ gut aufgeräumten Arbeitszimmer zu verbringen. Sonderlich viele dürften es nicht sein, aber von einer jungen Dame ist genau dieses bekannt.

Ella, so war der Brauch bis vor ein paar Wochen, durfte stets von Donnerstag zu Freitag im Arbeitszimmer schlafen. Das beste daran war aus Ellas Sicht natürlich, dass Papa irgendwann immer dazu kroch um sich gemeinsam mit ihr durch die Nacht zu schnarchen und zu grunzen. Donnerstage waren für Ella deshalb die Könige der Woche.
"Was ist, wenn das Planetarium keine Karten mehr für uns hat", fragte Papa sein Töchterchen an einem Donnerstag. Und was antwortete dieses Töchterchen? "Papa", sprach es, "Du weißt doch: An einem Donnerstag stört mich gar nichts. Denn das ist mein Lieblingstag".

Irgendwann, als Ella dann zwischen Freitag und Mittwoch allnächtlich (manchmal schon am Abend) ins Elternbett kroch, wurde reformiert. Ella, so der neueste Stand, muss sich die Nächte mit dem Papa nun verdienen - heißt: im eigenen Bett schlafen. Für jede durchgeschlafene Nacht erhält Ella am Morgen eine Bügelperle von unfassbar hohem symbolischen Wert. Bei neuerdings schon drei Bügelperlen gewinnt sie eine Nacht mit Papa.

Seitdem stehen zwei Eierbecher bei uns in der Küche. Oscar, der zu wenig nächtlicher Theatralik neigt, wählte einen blauen ("bau") Eierbecher und durfte fortan fast jeden Morgen eine Bügelperle ("bau") hinein tun. Daneben stand frustriert seine große Schwester.
Im Übrigen fiel uns für den anspruchslosen Oscar so schnell auch gar keine Belohnung ein, die er bei drei Bügelperlen erhalten könne. Als Oscar dies durchblickte, hörte er auf, Bügelperlen zu sammeln und jammerte sich nachts wieder ins Elternbett.

Und heute Nacht ist dann soweit: Während in Los Angelos die große Oscar-Nacht gefeiert wird, steigt in Berlin die große Ella-Nacht, denn in dem Moment, wo dieser Text getippt ist, wird Ella ins Arbeitszimmer getragen. Was ist passiert?

Nun, Ella hat in den letzten Tagen eine Einschlafmethode für sich entdeckt, die nicht bar jeder Unlogik und bar jedes Selbstvernichtungstriebes ist, insofern also die ideale Einschlafmethode unserer Tochter sein könnte.

Diese Methode geht wie folgt: Ella und Oscar legen sich gegen 19:10 nebeneinander auf eine Matratze, die entweder neben Oscars oder unter Ellas Bett liegt. Um 19:20 beginnt Oscar dann, auf Ella einzudreschen. Grundlos, wie wir meinen, prügelt Oscar auf seine wehrlose Schwester ein.
Weshalb sich Ella so betont wehrlos gibt, ist noch nicht weiter analysiert. Fest steht, dass wir aus dem Kinderzimmer zwischen 19:20 und 19:30 monotone "Aua. Aua. Aua."-Schreie vernehmen, manchmal auch das monoton vorgetragene "Oscarhörauf. Oscarhörauf. Oscarhörauf."

Wenn wir dann nach etwa 10 Minuten nachsehen, finden wir Ella regungslos auf der Matratze liegen und Oscar grinsend auf Ella einprügeln. ZACK - Oscarhörauf - ZACK - Oscarhörauf - ZACK - Oscarhörauf. Talentierte DJs könnten einen schönen Trance-Song aus diesem Klangteppich, der Minuten lang gleichbleibend durchs Kinderzimmer wummert, kreieren.

Fragt man Ella dann, ob sie Lust hat, die Prügelebene zu verlassen und in ihr Hochbett zu steigen, so sagt sie "Ja", steigt nach oben und schläft dort dann die ganze Nacht. Dreimal hintereinander hat der Vierkampf "unten hinlegen, verprügelt werden, oben hinlegen, durchschlafen" nun schon funktioniert und Ella berichtet sogar beim Frühstück davon.

"Wenn ich mich nachher hinlege", spricht Ella mit vollem Frühstücksmund, "und wenn Oscar mich dann immer haut, dann lege ich mich hoch und schlafe." Irgendjemand der Eltern fragte dann noch, ob das denn wirklich sein müsse, ob man nicht einen Teil der Abfolge, zum Beispiel das Verprügeltwerden, weglassen könne, aber Ella blieb dabei. So und nicht anders kann sie einschlafen. Fast scheint es, als sei sie ihrem gewalttätigen Bruder dankbar.

Noch immer ist Ella fasziniert von der Titanic. Vieles wird vom gesunkenen Ozeanriesen berichtet und da Ella auch gerne mal Kinder zu Besuch hat, die von der Schiffskatastrophe noch gar nichts wissen, gibt Ella ihr Wissen gerne weiter. Und wenn Ellas Logopädin nicht bald zum absoluten Durchbruch kommt, wird es vielen Kindern Kreuzbergs so ergehen, wie es derzeit Seyni ergeht, die nach einem Spielenachmittag bei Ella ihrer Mutter von der unglaublichen Geschichte der "Kikanik" erzählte. Hoffen wir von daher, dass Ellas nächste Leidenschaft keine Ts enthält.

Zum Abschluss mal wieder Oscar. Oscar ist ja eigentlich sehr lieb und umgänglich. Dass er zur Zeit furchtbar gerne auch mal zuhaut und im Anschluss jede Form der Entschuldigung ablehnt, ändert nichts an unserer bedingungslosen Liebe. Manchmal aber, dies mag die meisten nun auch nicht unbedingt überraschen, stinkt Oscar aber auch.
Mama sagt dann meistens: "Oscar, du stinkst wie ein Wiedehopf.", was wir mal zum Anlass nahmen, nach dem Ursprung dieser Formulierung zu suchen. Papa hatte keinen blassen Schimmer und vermutete, dass der Wiedehopf aufgrund seiner klanglichen Nähe zum Gugelhupf höchstwahrscheinlich ein Backwerk sei. Doch weit gefehlt: Der Wiedehopf ist ein Vogel. Und wie Oscar ist er von ganz besonders attraktiver Gestalt. Wenn sich der Wiedehopf bedroht fühlt, sondert er - und auch das ähnelt dem Verhalten Oscars - aus seiner Bürzeldrüse ein übelriechendes Sekret aus.

Mama und Papa freuten sich über das neu erworbene biologische Fachwissen. Oscars Bürzeldrüse wurde nach dieser Erkenntnis mit sehr großem Verständnis vom übelriechenden Sekret befreit.

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