Samstag, 12. Februar 2011

Kreuzberg-Kinderhaus

Es gibt im Norden Münsters einen Stadtteil namens Kinderhaus. Zwei Dinge weiß ein Jeder über Münster-Kinderhaus: In Münster-Kinderhaus ist das soziale Klima recht rauh, und in Münster-Kinderhaus befindet sich das deutschlandweit einzige Lepra-Museum.

Wie der Stadtteil zu seinem seltsamen Namen kam, das weiß wiederum niemand so genau und so können wir nur vermuten, dass sich vor Urzeiten im nördlichen Münster ähnliches zutrug wie derzeit in Berlin-Kreuzberg.

In Kreuzberg hat nämlich Ella die Liebe zum Spiel mit anderen Kindern und von daher das unglaubliche Potenzial ihres Wohnhauses entdeckt. Es war am Montag, als aus dem elternfixierten Kind Ella ein kinderfixiertes Spielmonster wurde, das die Eltern nur noch zum Frühstück und zum Ins-Bett-Bringen zu Gesicht bekamen.

Beim Abholen von der Kita werden die ahnungslosen Eltern dann mit den unter den Kindern bereits besiegelten Verabredungen konfrontiert. Den Eltern wird dann berichtet, ob die nur noch paarweise zu vergebenen Kinder abgeholt werden dürfen, oder ob andere Eltern als Gastgeber auserkoren sind.

Besonders schön ist es natürlich, wenn Ella die Gastgeberin ist, denn die Türen fast aller Wohnungen hier stehen nachmittags grundsätzlich offen. Die Kinder des Kinderhauses huschen mal in diese, mal in jene Wohnung und benötigen plötzlich keine Bespaßung durch die Eltern mehr.

Für die Eltern fühlt es sich so an, als hätte der Tag jetzt drei Stunden mehr, denn zwischen 15:30 und 18:30 können plötzlich sinnvollere Dinge getan werden als 100-Teile-Puzzle zu legen oder Conni-Bücher vorzulesen... Wann die Kinderparty endet, bestimmen die Kinder in der Regel auch selber: Kurz vor 18:00 tauscht man sich hier aus, welches Abendbrot in welcher Wohnung zu erwarten ist. Schreit Janek "Bei uns gibt's Bratwurst!", is(s)t Ella abends halt auswärts. Gibt's bei Janek auch nur Brot, sitzt er halt mit bei uns. Am Donnerstag gab es bei Janek eine ganz besonders feine Kreation: Pommes mit Kroketten - auch genannt "zweierlei frittiertes Kartoffelmehl". Ella war natürlich dabei.

Die WG neben uns hat wohl nun auch endgültig begriffen, dass sie in einem Kinderhaus gelandet ist. Dass manchmal die Kinder nämlich auch in eben jene Studenten-WG stürmen, wenn die Tür unachtsam geöffnet wurde, hat man dort ebenso geschluckt wie die Tatsache, dass die Kinder einfach mal die Fußmatten der Wohnungen vertauscht haben. Wir haben jetzt die WG-Fußmatten vor der Tür und die WG unsere. Keinen stört das. Die Kinder werden schließlich ihre Gründe haben, und die Bosse sind sie unterm Strich ja sowieso hier in Kreuzberg-Kinderhaus.

Für Oscar stellt sich das insektenähnliche Gewusel in unserem Haus übrigens ähnlich wechselhaft dar wie für seine Eltern, denn Oscar ist traurigerweise noch relativ stationär gebunden.
Diese "Station" ist sein eigenes Kinderzimmer. Dort sitzt er nachmittags und spielt. Manchmal stürmen drei bis vier Kinder des Hauses zu ihm und spielen mit ihm oder um ihn herum. So plötzlich wie der Schwarm gekommen ist, verlässt der Schwarm - eventuell auf ein geheimes Signal - das Zimmer und surrt in eine andere Etage des Hauses.

Oscar hat begriffen, dass er nicht alleine ins Treppenhaus darf und so hat er mit diesem seltsamen Kinderschwarm, der mal kommt und dann wieder geht, einfach das gemacht, was er mit allen Dingen getan hat, die er sich nicht weiter erklären kann: Er hat ihn akzeptiert. Irgendwann werden die Eltern grünes Licht geben und dann darf Oscar mit allen anderen Kindern durchs Haus surren und den Schwarm um einen weiteren Moskito ergänzen.

Bevor Oscar Moskito sein darf, gewährt er uns zunächst einmal Einblick in sein Genom. Und was steht dort geschrieben? Oscar ist nachtragend.
Oscars schlimmstes Erlebnis dieser Woche bestand wohl darin, dass Leo-Ben, Oscars Kitas-Kumpel, Oscar in die Hand biss.

Niemand weiß, warum Leo-Ben dies tat. Vielleicht hat Oscar etwas Blödes zu ihm gesagt, wobei Oscars Wortschatz nicht viele Beleidigungen zulässt ("Eier", "Kreua" -> Elefant, "Bau" -> blau - das sind nicht die Worte, bei denen man sich zu einer Beißattacke genötigt sieht), in jedem Fall aber nahm Leo-Ben Oscars Hand und biss hinein.

Oscar aber, das wusste Leo-Ben vielleicht nicht, hat das Gedächtnis eines Kreuas (Elefanten). Hört Oscar auch nur den Namen Leo-Ben, verfinstert sich sein Gesicht. Er kommt dann ganz nah zu dem, der den Namen nannte, zeigt demjenigen entsetzt seine Hand und sagt "Aua".

Heute dann besuchten Oscar und Leo-Ben gemeinsam einen Flohmarkt. Oscar würdigte den Beißer keines Blickes. Oscar ist eingeschnappt. Wir warten einfach mal ab, wie Leo-Ben aus dieser Nummer wieder rauskommt.

Die Abschlussanekdote gehört aber der großen Schwester des Nachtragenden: Ella wurde heute vom Papa in die Welt der Kicker-Stecktabelle eingeführt. Jedes Wochenende, so der Plan, soll die Tabelle aktualisiert werden. Ella war zunächst durchaus angetan vom Gewühle in Papas Sammlung von kleinsten Papp-Wappen und sichtlich stolz, als sie Cottbus, den FSV Frankfurt und den SC Paderborn im Chaos fand.

Als alle Wappen einsortiert wurden, freute sich Ella noch über den zweiten Platz ihrer Leverkusener, da wurde ihr klar, wie schlimm es um Mamas Schalker steht.
"Guck mal", sagte Ella noch ganz gefasst. "Schalke ist Elfter."

Pause. Ella starrt auf die Tabelle. Denkt nach... Elfter...
Dann wird Ella ganz Gelsenkirchnerin und bricht zusammen. Heulend kauert sie über der Stecktabelle, rennt dann zu Mama. "Schalke ist Elfter...", heult Ella und Mama, selber nicht erfreut darüber, versucht zu trösten.

Papa klemmt inzwischen die Stecktabelle an den Kühlschrank und denkt über seine Familie nach...

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