Samstag, 29. Dezember 2012

Stille Nacht mit Hyänen

Unklug war Oscars Entscheidung, am 23.Dezember zu erkranken, dem Tag also, an dem hier dank des Opa-Geburtstages alljährlich die großen Festtage beginnen, und erst wieder am 26.Dezember, dem Ende der Feierlichkeiten, zu genesen.

So hatten wir exakt zu Weihnachten statt eines fröhlich-randalierenden Oscars wie sonst ein missmutig-pöbelndes Kind in unserem Kreise, das beispielsweise mitten in die Kirchengesänge am Heiligen Abend hineinpolterte "Die sollen aufhören zu singen. Das ist langweilig hier!".

Als die Familie dann nach Ende des Gottesdienstes nach Hause kam, stellte man fest, dass man den Weihnachtsmann verpasst haben muss, denn unterm Baum lagen plötzlich zahlreiche Geschenke. Es war der Zeitpunkt, von dem an die Vorstellungen der Kinder über den Verlauf des Abends von denen der Eltern stark abwichen. Es war dies gleichzeitig der Zeitpunkt, an welchem den Eltern die Fäden aus den Händen glitten.
Mama und Papa nämlich dachten sich das ungefähr so: In einer gemütlichen Runde wird besinnlich beieinander gesessen. Es wird gesungen, Gedichte werden aufgesagt, hier und da ein Geschenk geöffnet. Rund 90 Minuten oder mehr könnte man auf diese Weise familiär-weihnachtlich verbringen.

Ella und Oscar sahen das anders. Hier das Protokoll der ersten zwei Minuten nach Aufschließen der Wohnungstür:
Ella, mit brennender Kerze in der Hand, stürzt ins Wohnzimmer, schreit: "Der Weihnachtsmann war da!". Oscar, ebenfalls mit brennender Kerze in der Hand, stolpert hinterher. Papa, der sich eigentlich zunächst einmal seine Schuhe ausziehen wollte, sieht sich plötzlich mit den beiden brennenden Kerzen seiner Kinder in den Händen vollkommen handlungsunfähig dastehen.
Oscar stürzt zu einem attraktiven Geschenk und beginnt daran zu rupfen. Die Eltern schreien "Noch nicht! Noch nicht!" - Oscar schreit zurück "Ein CD-Player!!!!" und verbeißt sich immer stärker in das halb geöffnete Paket.

Auch Ella ist nun nicht mehr zu halten. Papa steht immer noch hilflos mit zwei Kerzen in der Hand daneben. Die Mutter versucht, sich irgendwie zwischen die Kinder und die Geschenke zu werfen. Relativ erfolglos. Die Kinder sind längst im Raubtier-Modus und nur noch trieb- statt vernunftgesteuert.
Ella liest die Namensschilder an den Geschenken und wird immer aufgebrachter. "Die großen Sachen sind alle für Oscar!!!" schreit sie. Die Stimmung kippt ins Aggressive.

Papa hat mittlerweile zwei Schnapsgläser zu Kerzenständern umfunktioniert, ist im Prinzip wieder handlungsfähig, kann die Auspack-Orgie der Kinder aber nicht mehr stoppen. Die Hyänen Ella und Oscar haben die Beute längst entdeckt, gerissen und zerteilt. Geschenkpapier fliegt durch die Gegend. Ella ist mittlerweile in solcher Rage, dass sie beim vielleicht aggressivsten Auspacken, das je ein Weihnachtsgeschenk über sich ergehen lassen musste, die beiden unteren Reihen des Weihnachtsbaumes von sämtlichem Schmuck befreit. Währenddessen gibt das liebevoll verpackte Brettspiel den Schüttelbewegungen unserer Tochter nach und poltert besinnlich aus dem Papier durch den halben Weihnachtsbaum auf den Fußboden. Ist in den Augen unserer Tochter in diesen Momenten weihnachtliches Glück zu sehen? Nein.

Nach wenigen Sekunden ist der Spuk, der anderenorts Bescherung heißt und durchaus weihnachtlich ablaufen kann, schon wieder vorbei. Das kleinste Geschenk war ein Schlüssel. Er passte letztendlich in die Tür des Gäste-WCs. Dahinter befand sich ein Fahrrad für Ella. Rechtlich umstritten ist nun, ob nur das Fahrrad oder auch der Schlüssel das Geschenk darstellt. Ella jedenfalls sieht sich derzeit als rechtmäßige Besitzerin des einzigen WC-Schlüssels. Die Eltern sehen das anders. Die Abhängigkeit, die damit verbunden wäre - sie wäre schwer zu ertragen ("Ella, ich muss mal. Darf ich den Schlüssel haben?" - "Nein" - "Bitte..." - eine unschöne Vorstellung).

Irgendwann saß die Familie dann beim Festessen. Oscar verspeiste ein Würstchen, was später noch von Bedeutung sein wird.
Später, das war als Ella sich vor die Wii stellte und dort tanzte. Ein Weihnachtsgeschenk sah nämlich genau dies vor. Ella hüpfte mit einem Controller wild auf und ab, Oscar saß daneben und dachte vermutlich die ganze Zeit an das Würstchen, das er dummerweise in seinem Bauch hatte. Zur Erinnerung: Oscar war krank. Er hatte Durchfall, der, das wusste unser Seher Oscar, drei Tage andauern wird.
Fast biblisch klang seine Weissagung am 23.Dezember. Er saß auf dem Klo und während Papa Oscars Hintern von gelblicher Flüssigkeit befreite, sprach Oscar: "Ich habe drei Tage Durchfall!". Und siehe: Drei Tage lang hatte er tatsächlich Durchfall. Dann war es vorbei. Oscar hat manchmal etwas Magisches an sich.

Schnell wieder zur tanzenden Ella, die fröhlich Arme und Beine von sich wirft. Der mit Wurst gefüllte Oscar will nun auch mal, schnappt sich einen zweiten Controller und tanzt neben Ella nun auch ein bisschen. Hier gehüpft, dort ein Ärmchen nach links, hier ein Beinchen gehoben. Wurst.

Es war grotesk. Papa hatte gerade den Telefonhörer in der Hand, war mit dem Anrufbeantworter des Opas verbunden. Ella hüpfte wild und Oscar erbrach die Wurst einen Meter neben die tanzende Furie, die davon überhaupt nichts mitbekam.
Mama hielt Oscar übers Klo. Oscar brach. Ella tanzte. Papa holte den Wischmop. Ella hüpfte bedenklich nah an der Lache. "Ella, Oscar hat neben dir alles vollgekotzt!" - "Was? Wo?". Fazit: Das Wii-Spiel "Just Dance Kids" ist spannender als ein kotzender Bruder.

Vergleichbar lief schließlich auch der erste Feiertag bei Oma. Oscar versuchte - schlecht gelaunt - mitzufeiern, gab dann auf und schlief ein. In der Möckernstraße auf Papas Arm kotzte er dann Nudeln. Es war fantastisch: Die S-Bahn blieb sauber, das Treppenhaus blieb sauber. Oscar wusste genau, wo man mit minimalen Konsequenzen hinkotzen kann.













Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen