Sonntag, 25. März 2012

Selbstverschuldete Not

Ein Unterschied zwischen dem Vater von Ella und Oscar und der Mutter besteht zum Beispiel darin, dass die Mutter eher undifferenziert mit dem Leid ihrer Kinder umgeht, während der Vater durchaus abwägt, ob das Leid selbstverschuldet, fremdverschuldet oder gar schicksalhaft ist.

Bei den beiden letzten Varianten ergießt sich grenzenloser väterlicher Trost über das leidende Kind, während der Vater - so er ein Selbstverschulden des Kindes ausgemacht hat - auch mal herzlos in das weinende Kindergesicht hineinschimpfen kann. Dies tut die Mutter nicht.

Selbstverschuldet in Not geraten ist Oscar in dieser Woche mindestens dreimal, wobei die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte. Da ist zum einen seine Angewohnheit, morgens ein akrobatisches Ritual während des Anziehens zu veranstalten: Dazu greift sich Oscar aus seiner recht hohen Kommode die Kleidungsstücke, die er in der Kita zu tragen gedenkt. Er steht deshalb auf der höchsten Stufe seiner Hochbetttreppe und wühlt nach Hosen, Unterhosen und anderem Kram. Höhepunkt dieser Aktion ist dann das wuchtige Auf-den-Boden-Werfen der auserkorenen Klamotten.

Papa machte alles kaputt und griff sich die Jeans, die Oscar wählte und wollte sie dem Spross direkt oben im Hochbett anziehen. Lautstarke Proteste. Hektische Sekunden. Erster Streit. Dann erläuterte Oscar, dass er nur Kleidung tragen kann, die zuvor etwa 2,50 Meter durch das Kinderzimmer gesegelt ist. Papa, dem das bis dato nicht klar war, fand das doof und verließ aus Protest den Raum.
Dann ein Knall. Oscar ist von der Kinderbett-Treppe gefallen, die Jeans noch in der Hand. Selbstverschuldete Not. Papa schimpfte, Mama tröstete.

Am Abend, es war wohl wirklich der gleiche Tag, dann folgendes: Zähneputzen. Oscar diktiert dem humorlosen Vater die Spielregeln: Auf den zweistufigen Holzhocker muss ein kleiner Plastikhocker gestellt werden. Auf diesen klettert dann in Zirkusartisten-Manier der Große Oscario. Erst dort oben, auf dem wackelnden Hochsitze, ist Oscar gewillt, sich für etwa sechs Sekunden die Zähne zu putzen.
(Und nun markiert und kopiert Papa aus Zeitgründen mal einen bereits geschrieben Absatz und verändert ihn nur ganz wenig:)
Papa, dem das bis dato nicht klar war, fand das doof und verließ aus Protest den Raum.
Dann ein Knall. Oscar ist von der Hocker-Skulptur gefallen, die Zahnbürste noch in der Hand. Selbstverschuldete Not. Papa schimpfte, Mama tröstete.

Zwei Tage zuvor, es war Nachmittag, hielt Oscar folgendes für richtig: Auf der Rücklehne des Sofas stehen und per Bauchklatscher auf die Sitzfläche springen, dabei lachen. Einige Male ging es gut, nur Papa nervte, weil er Oscar ständig auffordern musste, diese weder sinnvolle noch ansehnliche Tätigkeit abzubrechen. Auch auf etwaige Gefahren machte der Vater seinen Sohn aufmerksam. Diesen interessierten die Warnungen erst, als er während des Sturzfluges von der Rücklehne in der Luft befindlich feststellte, dass er zu weit gesprungen sein muss, denn soeben rauschte die gepolsterte Sitzfläche an Oscar vorbei.
Als nächstes bereit, Oscars Sturz abzufangen, war der Parkettboden. Rumms. Selbstverschuldete Not. Papa schimpfte, Mama tröstete.

Aber auch andere interessante Dinge sind in diesen Tagen passiert: Ella stellte fest, dass die kahlrasierten Bäume, die Mama in den letzten Tagen gestutzt hatte, optimale Bedingungen zum Klettern bieten, was unserer doch eher anspruchsvollen Tochter den Gartenaufenthalt für alle sichtbar versüßt. Im Gegensatz zu ihrem Bruder ist auch davon auszugehen, dass Ella nicht abstürzen wird, und wenn doch, dann wird der Baum Schuld dran sein. 

Und zum Abschluss noch eine Geschichte aus Absurdistan, welches in Kreuzberg liegt.
Es ist Abend, ein anstrengender Tag geht für die Kinder zu Ende, was erklärt, dass diese sehr sensibel sind. Beide Kinder wollen, dass Papa nur ihnen selbst, also nur der Tochter oder nur dem Sohne, vorliest. Ein unlösbares Problem.
Mama, zuständig für unlösbare Probleme, eilte mit einem Babybuch herbei, und las dem irritierten Oscar daraus vor, während Papa seiner Tochter vorlas. Die Regel lautet nämlich: Wenn einer fertig ist mit Vorlesen, dann darf er beim anderen noch zuhören.

Der Plan von Mama war also nicht schlecht: Sie würde Oscar das Babybuch innerhalb von einer Minute vorgelesen haben. Dann könnte Oscar juristisch sauber noch in den Vorlese-Genuss des Vaters kommen und hätte eventuell seine Ansprüche auf ein alleiniges Vorlesen angesichts des seltsamen Babybuches vergessen.

Weit gefehlt: Oscar fand Mama, wie sie das Baby-Buch vorlas, unmöglich. Noch in den kurzen Vortrag hinein, in dem es um einen Tisch und einen Stuhl zum Draufsitzen ging, randalierte der Sohn. Mama endete und wollte zum Siegeszug ansetzen, hier aber bereits ahnend, dass es schief gehen würde.

Und so sagte sie Oscar, dass er nun doch beim Papa zuhören dürfe. Oscar, mittlerweile lila gefärbt, raste vor Wut und brüllte, Mama möge das Kinderbuch nicht vorgelesen haben.

Wir halten inne und analysieren kurz: Es handelt sich um die verneinte Befehlsform in der Vergangenheit. Es war schlicht und ergreifend ein Befehl, die Vergangenheit betreffend, das Buch nicht vorgelesen zu haben, und da hatte Mama das nächste unlösbare Problem zu lösen.

Sie tat es, und nur Papa fand es komisch: Sie blätterte das Baby-Buch von hinten nach vorne durch und las es rückwärts, machte dabei also Geräusche, wie man sie von Klingonen oder sich übergebenden Menschen kennt. Oscar fand seine Mama währenddessen sehr doof.

1 Kommentar:

  1. Das war zwar nicht das was ich auf meine Google-Anfrage lesen wollte, aber trotz alledem habe ich mich als Mama amüsiert und mitgelitten...fühle mich nun seelisch und moralisch auf meine ereignisreiche Zukunft vorbereitet und springe nun ins Bett(Gute-Nacht-Geschichte hatte ich ja eben).

    Danke und Gruß Isa

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