Sonntag, 4. März 2012

Kein Kohlenkeller, kein Genozid am Fisch

Am Sonntagabend sahen wir einen durch und durch glücklichen Jungen beim Abendbrottisch. Ein seliger Gesichtsausdruck verriet dem Rest der Familie nämlich unmissverständlich, dass Oscar sehr zufrieden mit diesem Tag war, an welchem ab dem späten Nachmittag mediale Berieselung in Form des lang ersehnten "Fleischbällchen"-Films und danach ein Besuch beim Nachbarjungen im Vordergrund stand.

Oscar verriet - immer noch selig lächelnd - dass beim Nachbarsjungen nicht direkt gespielt wurde, denn alle anwesenden Kinder zogen es vor, sich von der Playstation-Kamera filmen und auf dem Fernseher abbilden zu lassen. Man mag die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, vor allem, wer wie wir tags zuvor einen Experten für irgendetwas im BR-Fernsehen (!) gesehen hat, der sinngemäß die steile These zum besten gab, der pädagogische Nutzen des Fernsehens für die Kinder sei damit vergleichbar, das Kind in einen Kohlenkeller einzusperren.

Nun besitzen wir keinen Kohlenkeller, vermuten aber mal, dass Oscars Gesicht beim heutigen Abendbrot weitaus grimmiger gewesen wäre, wenn wir den BR ernst genommen und Oscar zu ein paar schwarzen Briketts gesperrt hätten.
Gut ist der Nachmittag aus pädagogischer Sicht sicher trotzdem nicht gelaufen, aber dass Oscar trotz Fleischwurst im Mund schon so tolle Sachen sagen kann wie "Für Ella war der Film ein bisschen gruselig. Aber für mich nicht" hätten wir ohne den "Fleischbällchen"-Film, den Papa innerhalb von wenigen Stunden den Kindern erst versprochen, dann aufgenommen, dann unglaublicher Weise aus Versehen gelöscht und schließlich aus der Videothek ausgeliehen hatte, nicht gewusst. Und wirklich: Das gemeinsame faule Sonntagereignis genossen Oscar und Mama auf den Fernseher blickend und der Vater zum großen Teil schlafend, während Ella hier und da in Panik verfiel. Gott weiß, warum...

Bevor aber die wütende Leserschaft große Eimer der Wut über uns ausgießt, weil wir so doofe Eltern sind, müssen wir vom Wochenende berichten, wie es sich gestaltete, bevor der Fernseher bei uns und beim Nachbarn angeknipst wurde: Hochgradig vorbildlich verbrachten wir nämlich die schönen ersten Märzstunden draußen, eröffneten quasi die Gartensaison, indem wir dort alles aus dem Winterschlaf holten. 
Mama und Papa stutzten Bäume, Ella und Oscar sammelten Äste ein und überschätzten schließlich die Temperaturen, als sie den Einsatz diverser Wasser-Spritz-Attraktionen forderten.

Am Sonntagmorgen fuhr die gesamte Familie raus zum Schlachtensee. Etwa eine weitere Million Berliner verfolgte den gleichen Plan und so gestaltete sich die Fahrrad- (Ella), beziehungsweise Laufradfahrt (Oscar) um den See als recht ereignisreich. Fußgänger wurden mal mehr, mal weniger erfolgreich umkurvt und Jogger mit Hunden aufgrund überraschender Fahrmanöver teilweise zum Stehen gebracht. Rund 200 Meter dahinter hechelten strammen Schrittes die Eltern um den See, irgendwie froh, nicht unbedingt direkt mit den progressiven Zweiradfahrern vor ihnen in Verbindung gebracht zu werden.

Oscar läutete dann stinkend den Rückweg ein. Man nahm Platz in der U-Bahn, die in vier Minuten losfahren sollte. Man war allein. Und man stank. 
Die Mama sah nachdenklich aus. Sie wog ab, wie voll der Zug noch würde und wie sich Oscars Gestank auch dank der Sitzheizung weiterentwickeln würde. Es waren noch zwei Minuten bis zur Abfahrt. Dann die Entscheidung: Oscar sollte "schnell noch gewickelt werden". Gesagt, getan. 
Nun, als die Windel geöffnet wurde, entfaltete sich der Geruch natürlich ganz besonders eindrucksvoll. Das hätte bis zum Umstieg in Wilmersdorf nicht zurückgehalten werden können, da hatte Mama Recht. Das musste sofort alles raus aus dem Waggon. 
Unglücklicherweise stiegen in diesem Moment vier Mädchen ein. Alters- und entwicklungstechnisch grob der siebten Klasse zuzuordnen, begannen sie das zu tun, was Mädchen in der siebten Klasse am besten können: Kichern, glucksen und alles "voll krass" finden. So saßen sie dann am anderen Ende des Waggons, hielten sich die Nase zu und kicherten und glucksten und fanden das alles "voll krass". Oscar ließ sich derweil recht unbeeindruckt wickeln. Mama schmiss Papa die Windel schließlich zu. Dieser rannte daraufhin schnell zum Mülleimer des U-Bahnhofes und stürzte eine Zehntelsekunde vor Abfahrt wieder in den Zug. Eine Station später wechselten die Kicher-Mädels den Waggon. Der Geruch verschwand durch die von den kichernden Mädchen geöffnete Tür. In unserem Waggon war fortan alles super.

Ella, die später Tierpflegerin im Zoo werden will, erkundigte sich abends noch nach den Fischen, die die Pinguine bekommen. Mit bestürztem Interesse verstand Ella, dass die gesamte Situation für die Fische, wie sie sich ausdrückte, "nicht so schön" sei. Recht hat sie. Und dann äußerte Ella einen wilden Abschlussgedanken des heutigen Tages, der Grundzüge der kohlhas'schen Gerechtigkeit zeigt: "Wenn die Fische sterben müssen, dann müssen die anderen Fische, also alle, auch sterben, weil das ist sonst ungerecht."

Papa argumentierte mit der Notwendigekeit der Arterhaltung und musste danach zum Glück keine weiteren Fragen zur Fortpflanzung der Fische beantworten, denn das Mädchen, das eben noch den Genozid am Fische ersonnen hatte, ging zu Bette.

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