Sonntag, 18. März 2012

Ein Junge wie ein Fiat

Bevor am Freitag der Frühling kam, nutzten wir die fehlende Wärme dahingehend aus, uns noch einmal antizyklisch zu verhalten. So fuhren wir mit der BVG-Fähre von Wannsee nach Kladow, ehe dies seit Freitag nun auch alle anderen Berliner tun. Die Schifffahrt indes war das Einlösen eines Versprechens.

Als Oscar sich nämlich in der Woche zuvor unsagbar doof benommen hatte (wir berichteten), ehe er sich winselnd in der Familiengemeinschaft zurückmeldete und somit alles auf den Kopf stellte, sah es für Ella zwischenzeitlich so aus, als würde sie mit Mama einen Schiffsausflug machen. Die Enttäuschung über die abermalige Änderung des Tagesprogramms (,die damals allein von den Stimmungen des Bruders abhing), konnte abgefedert werden, indem Ella eine exklusive Schifffahrt mit ihren Eltern versprochen wurde, während Oscar einen Tag bei der Oma verbringen sollte.


Oscars Oma-Besuch war lange im Voraus geplant und wirkte auf unseren Sohn nun auch nicht direkt wie eine Bestrafung und auch Oma konnte nicht glauben, was sie da zuvor über ihren Enkel im Blog lesen musste, fand sie doch einen sehr ausgeglichenen und umgänglichen Jungen vor.

Papa konnte dies nun widerum kaum glauben und erkundigte sich nach Details: Nun. Oscar wurde bei Oma zum Beispiel gefragt, ob er baden möchte. Er sagte "Ja". Oma ließ Wasser in die Wanne. Dann betrat Oscar das Bad und bemerkte, dass er übrigens "nicht baden" wolle. Hier nun setzte Omas sensationelles Erziehungsprogramm ein: Sie ließ das Wasser aus der Wanne, nahm ihren Enkel in den Arm und sagte: "Na dann nicht." - Man kann das "Entspannungspolitik" nennen und abwägen, ob dies der richtige Weg ist oder ob Mama und Papa richtig reagiert hätten, die Oscar in der selben Situation gepackt, ausgezogen und in die Wanne gesetzt hätten.

Währenddessen blieb auch Ella trocken, denn sie turnte lediglich in einer Weise auf der Reling des Schiffes herum, die des Mutters Herz nur mittelschwer rasend machte. Kurz erläuterte die Mutter die möglichen Konsequenzen der Turnerei: Tod durch Ertrinken. Ella war beeindruckt und hielt fortan Abstand. Da ihr aber ungefähr 150 Meter nach dem Verlassen des Hafens in Wannsee unsagbar langweilig war, fiel es der Möhre durchaus nicht leicht, sich angemessen, also zum Beispiel sitzend, auf der Fähre zu verhalten. Trotzdem: Über ihren exklusiven Schiffsausflug hat sie sich dann doch sehr gefreut.

Oscar - der den Tag bei der Oma natürlich auch genoss - ist derzeit im Hochgeschwindigkeitsrausch: Er liebt es, von schnellen Dingen zu erzählen. Dass da ein rotes Auto - irgendein schäbiger Fiat - mal vor ein paar Wochen auf der linken Spur fahrend ein paar andere Wagen überholte, als Oscar Zeuge dieses Spektakels war, hat der Knirps bis heute nicht vergessen. Hier und da muss er noch davon berichten und da ihm die nötigen Vokabeln fehlen, das Wort "schnell" angemessen zu steigern, muss er die Unglaublichkeit der Schnelligkeit des Fiat über die Stimme und Gestik verdeutlichen.

Dazu macht Oscar vor dem Wort "schnell" meist eine Kunstpause und wird danach sehr laut. "so ... SCHNELL!", brüllt Oscar dann mit Fiat-rotem Kopf und setzt noch ein Geräusch hinterher, mit dem andere Jungs Gewehrschüsse imitieren. Es lautet in etwa "PRUUUFFFF" oder auch mal "PROOOFFFFF". Dabei schlägt Oscar noch blitzschnell mit seinem Arm von der Brust zur Seite, was Ella vorhin fast ihr zweites blaues Auge dieser Woche verpasst hätte. Oscar sprach nämlich gerade vom ICE, der "sooo [Pause] SCHNELL" sei.
Als Ella plötzlich hinter ihm auftauchte, setzte Oscar seinen Arm auf die Brust. "PRRROOOOOOFFFF", brüllte Oscar, während Papa den nun nach hinten schnellenden Arm des Sohnes brutal nach oben drückte, damit Ella verfehlt werden würde. Dies glückte. Zuvor allerdings holte sie sich nachts ihr erstes blaues Auge ab.

Sie ging auf Toilette. Lobenswert. Und wollte danach wieder zurück ins eigene Bett. Sehr lobenswert. Dann ein lauter Knall. Ein Weinen. Ella stieß in der Dunkelheit gegen einen Stuhl. Papa war schuld, das war allen sofort klar. Ella verhielt sich tags drauf in der Kita deshalb sehr theatralisch. Augenarzt. Alles in Ordnung. Und zwei Tage später machte Papa ja auch alles wieder gut, als er den Arm des Sohnes so ablenkte, dass dieser Ella verfehlte.

Oscar, unser Geschwindigkeits-Fan, erlebte schließlich in dieser Woche auch noch folgendes: Er war mit seiner Familie bei LIDL, wo er sich eine Gummibärchen-Tüte aussuchte, die sein Vater mittlerweile fast komplett aufgegessen hat und nun morgen nachkaufen muss, um ein furchtbares Gebrüll zu verhindern.
Auf dem Rückweg dann eine klassische Männersituation: Oscar steht mit dem Laufrad an einer roten Ampel.
Neben ihm befindet sich ein anderer Junge. Dieser spricht wahrheitsgemäß zu Oscar: "Du hast ein Laufrad. ICH habe ein Fahrrad." Oscar verstand wohl bereits an dieser Stelle, was zu tun sein würde. Doch der Bengel neben Oscar hörte mit der Provokation nicht auf: "Ich bin schneller als Du!".
So - das war zuviel.

Beim Grand-Prix von Kreuzberg schaltete die Ampel auf Grün. Lauf- und Fahrräder heulten auf und Oscar schnellte wie damals der rote Fiat nach vorne. Gleichzeitig - wir wissen nicht, ob es Fahrtaktik oder mangelnde Kontrolle war - fuhr Oscar üble Schlangenlinien gen andere Straßenseite. Ein Überholmanöver des frechen Fahrrad-Jungen konnte so nur unter größter Gefahr für alle Beteiligten stattfinden. Die Mutter des Bengels rief von hinten aus der Boxengasse deshalb: "Überhol den nicht!!!" - Für Oscar waren dies wohl die entscheidenden Worte. Als erster erreichte er die andere Straßenseite. Laufrad schlägt Fahrrad. So schnell wie der rote Fiat.
Doch was zeigt da das letzte Bild? Der heldenhafte Sieger des Rennens spielt - so gar nicht heroisch - mit dem manisch rosafarbenen Spielzeug seiner Nichte. Ein rosa Pony. Ein rosa Schloss. Eine rosa Kutsche. Mittendrin unser Junge.  













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