Sonntag, 18. September 2011

Inszeniertes Leiden als Teil der Persönlichkeitsentwicklung

Wenn der Mutter im Hause beim Abendbrottisch ein seliges Lächeln über das Gesicht huscht und sie verträumt sagt, dass ihr Sohn - Oscar - nun eine echte Persönlichkeit entwickelt, dann muss dieser These in diesem Blog natürlich mit gewohnter Gründlichkeit nachgegangen werden.

Noch interessanter wird dies alles, wenn man berücksichtigt, dass Oscar, als Mama von seiner Persönlichkeitsentwicklung referierte, gar nicht zugegen war. Wo bitte sehr entwickelte sich denn dann seine Persönlichkeit? Antwort: Auf dem Klo.

Dort saß Oscar nämlich. Die Mutter muss man sich knieend, fast in relegiöser Anbetungspose vor dem stuhlenden Sohn vorstellen in der Erwartung, diesem sogleich beim Reinigungsakt behilflich sein zu dürfen. In diesem Moment erwachte - so haben wir die Mutter anschließend verstanden - Oscars Persönlichkeit, indem er seine Mutter anfauchte: "Ich will meine Ruhe!".

Kurz zuvor gab es da aber noch eine andere Aussage des Knirpses, die entwicklungspsychologisch in einer anderen Liga spielt als, wir zitieren erneut die Mutter, Aussagen wie "Ich will Saft!".
Oscar rügte nämlich seine Schwester und forderte mehr Benimmregeln ein. Er sprach zornig: "Das heißt 'bitte', Ella", nachdem diese einen Wunsch, vermutlich nach einem Brotaufstrich, ohne das - von unserem Sohn scheinbar sehr geschätzte - Zauberwörtchen formulierte. Man kann sich der These der Mutter also wohl anschließen und Oscars Persönlichkeit recht herzlich Willkommen heißen in unserem Kreis.

Unter der Woche machte die Familie mal wieder von der Zoo-Jahreskarte Gebrauch. Vorher wurden Planungsgespräche geführt. Papa wollte Nashörner, Ella wollte Löwen und Oscar wollte Zebras. Mama betrat den Zoo ohne glühenden Wunsch.
Oscar beherrscht mittlerweile - Stichwort Persönlichkeitsentwicklung - eine ganz reizende Vorgehensweise, die wir bislang weltweit nur bei Ella beobachten durfte und die wir "Inszeniertes Leiden" genannt haben. Ella neigt des Öfteren dazu, in letzter Zeit aber weniger, ganz bewusst Situationen herbeizurufen, die ihr ein lautes Weinen gestatten.

Bei Oscar zeigte sich dies wie folgt: Im Zoo zeigen wir Oscar die Zebras, von denen er auf dem gesamten Hinweg über sprach. Er rennt zum Gehege. Rennt aber auch schnell weiter. Etwa 20 Minuten später jammert er. Die Zebras seien viel zu wenig gewesen. Er musste schlimm weinen. Wir vermuten mittlerweile, dass unsere Kinder gerne weinen.

Geweint wurde auch bei den Löwen. Diese werden donnerstags nicht gefüttert, weshalb sie an solchen Tagen - was ja verständlich ist - immer besonders übellaunig sind. Oscar und Ella, in etwa so groß wie ein Löwenbein, standen vor dem Käfig. Ein Löwe begann zu brüllen, woraufhin drei weitere Löwen ebenfalls zu brüllen begannen. Die Situation schaukelte sich hoch. Ein oder zwei Minuten war ordentlich was los im Raubtierhaus und die Löwen waren so laut, dass keiner merkte, dass ein kleiner Junge, der so gerne so tapfer und stark und furchtlos wäre, sehr rot im Gesicht war und schon viele, viele Tränchen auf den Boden des Raubtierhauses tropfen ließ. Hier weinte Oscar nicht gerne. Bei der Zebra-Aktion wollte er es nicht anders!

Tags drauf besuchte Oma die Enkel und hatte eine grüne Flöte dabei. Wäre Ella ein Instrument, so würde man vielleicht eher später die "Flöte" nennen. Ella ist vom Typ her ja eher so Schlagzeug oder Pauke.
Und so holte sie aus der Flöte Töne heraus, die in puncto Schrilligkeit und Schiefe so gar nicht filigran und lieblich sind. Ella flötet Trash-Metal. Gefönte Geiger sind mit ähnlichen Kombinationen sehr reich geworden und so erdulden wir Ellas Kampf gegen die Musik. Oscar hat das grüne Instrument auch schon in sein Herz geschlossen. Die Töne, die Oscar aus diesem Stab presst, gleichen den Tönen seiner Schwester. Ein Plastik-Saxofon wurde gereicht, damit beide Kinder gleichzeitig furchtbaren Lärm machen können. Schön ist es, Kinder zu haben, die musizieren.

Heute wurde in Berlin gewählt. Ella war bei Papa in der Wahlkabine und Oscar bei Mama. Mama hat dann noch mal nachgelesen und festgestellt, dass die Berlin-Wahl damit ungültig ist. Vielleicht liest dies ja jemand mit Einfluss, dann dürfen wir alle noch einmal wählen gehen. Spaß hat es schließlich allen gemacht. Sogar die Fernsehanalysen haben Ella und Oscar mit großem Interesse verfolgt.
"Wie heißt der?", fragte Oscar dann, auf den Spitzenkandidaten der Linken deutend. "Wolf", sagte Papa, woraufhin Oscar mal wieder blass wurde.

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