Montag, 18. Juli 2011

Es bleibt das Schreien.

Passend zu unserem ersten heutigen Foto, auf welchem absurdes Licht auf die Häupter der im Sand spielenden Kinder fällt, und sie somit aussehen, als hätten sie einen Heiligenschein, berichtet Ella noch immer spirituelles Zeug:
"Papa, weißt du, wer Metall verbiegen kann?", fragt sie da ihren Vater, um gleich hinterherzuschieben, dass zu dieser kühnen Tat lediglich drei Wesen in der Lage sind: Nämlich Ahmets Bruder, Gott und Ahmet.

Nun ist es nicht sonderlich schwierig zu ermitteln, wer Ella von diesen drei Heiligen (von denen zwei in Kreuzberg wohnen) berichtet hat - gleichzeitig wissen wir auch, dass es bald ein Ende hat, mit Gottes-Stories, denn Ahmet hat die Kita nun für immer verlassen. Metall biegend wird er demnächst in die Schule gehen und dort weiter predigen.
In Ellas Kita wird sich dann wieder mit Irdischem befasst - wobei: So ganz bodenständig ist auch der verbleibende Teil der Kita-Schar nicht.

"Romys Vater", so Ella ohne religiöse Konnotation, "ist so stark, dass er die ganze Welt hochheben kann.", tönt es da aus dem Fahrradanhänger. Oscar staunt, Papa auch - allerdings nicht über Romys Vater, sondern darüber, dass ein Kind, das das Einmaleins der Vier schon sehr gut beherrscht, sich noch derartig riesige Bären aufbinden lässt. Dann aber die Wende zum Guten: Das Fahrrad rollte keine 200 Meter weiter, da begann Ella zu reflektieren: "Das geht aber eigentlich nicht", grübelte sie. "Wo soll der denn dann stehen?" Der daneben sitzende Oscar hatte so wieder ein bisschen was zum Nachdenken, während Papa vorne auf dem Fahrrad "eben!" in den Tempelhofer Berufsverkehr schrie.

Blicken wir nun weit in die Zukunft: Wir schreiben das Jahr 2051. Es müssen für die Deutsche Bahn Gleise verlegt werden. Gleisbauarbeiter Oscar H. (42) will eine Schiene an eine andere legen. Es klappt nicht auf Anhieb. Oscar H. wiederholt mit leicht zitternder Unterlippe den Vorgang. Wieder gibt es Probleme. Irgendetwas klemmt. Oscar H. hebt die Schiene erneut an und schreit. Er legt sie schreiend an die andere Schiene. Es funktioniert nicht. Gleisbauarbeiter Oscar H. (42) bricht schreiend neben den Schienen zusammen. Kollegen eilen zu Hilfe. Gemeinsam gelingt es, das Schienenstück anzubringen. Dann erst hört Gleisbauarbeiter Oscar H. (42) auf zu schreien und widmet sich dem nächsten Stück Schiene. Es kann sein, dass sich die Prozedur nun wiederholt.
Dieser Blick in die Zukunft sieht düster aus. Und doch muss man derzeit in eine solche Richtung denken, denn Oscar ist durchaus in der Lage, seine Gleisbauaktivitäten hier in der Wohnung mit einer unfassbaren Emotionalität zu erledigen. "Vollste Identifikation mit dem Aufgabenfeld", mag man das im Bewerbungsschreiben nennen, aber leider läuft das mit den Schienen nicht immer so glatt und dann gerät Oscar schon mal in einen lautstarken Streit mit der Materie. Und so wie Gewichtheber die besonders schwierigen Aufgaben auch nicht so ganz stumm erledigen können, denkt Oscar anscheinend, dass ein übler Schrei in der Lage sein kann, Schienenteile, die nicht füreinander bestimmt sind, zu vereinen. Wir hoffen, dass Oscar in den nächsten Jahren ein paar weitere Problemlösestrategien erwirbt. Alles andere wäre eine Zumutung. Beispielsweise in Abiturklausuren oder beim Schachspiel.

Während Papas Ferienzeit hat sich im Papa-Oscar-Verhältnis übrigens so einiges getan. Oscar ist mittlerweile ein großer Papa-Fan geworden und forderte schier Unglaubliches: Weil Ella ja jeden Donnerstag mit ihrem Vater im Arbeitszimmer nächtigt, will Oscar auch seine Nacht mit dem Vater im Arbeitszimmer haben.

Gesagt, getan. Ella nahm den Verlust ihres "Arbeitszimmer-Nacht"-Monopols gefasst hin, Oscar wurde - so war es verabredet - gegen 23:00 ins Arbeitszimmer getragen. Papa legte sich zum Wicht.
23:30: Oscar wird wach, fordert zuckersüß: "Kuscheln Papa, bitte. Kuscheln"
23:31-23:35: Papa und Oscar kuscheln.
23:36: Oscar verlässt das Arbeitszimmer, sagt: "Ich zu Mama gehen".
Im Arbeitszimmer hatte der Vater fortan eine 1,40 Meter Matratze für sich alleine und schlief nicht schlecht. Nebenan lag Mama mit Ella und Oscar und hatte bestimmt auch eine ausgezeichnete Nacht.

Das letzte Foto des heutigen Blog-Eintrages zeigt zweierlei Dinge. Zum einen ist äußerst treffend dokumentiert, wie Ella spielt: Sich auf dem Boden windend, hält sie jammernd dem fotografierenden Vater ein Lego-Arrangement hin und fleht mit ihrem Blick um massive Unterstützung, denn alleine kann Ella nicht spielen.

Und wer ist der adrette junge Herr im Hintergrund? Richtig - Oscar bekam heute, gerade einmal elf Monate seit seinem letzten Friseurbesuch - einen Kurzhaarschnitt verpasst. Dass er damit einverstanden war, ist insofern erstaunlich, da Erzieherin Maria es vor ein paar Tagen mal wagte, Oscars Vorhang aus Haaren ein wenig zur Seite zu legen, damit Oscar die Schönheit der Welt betrachten kann, woraufhin Oscar irritiert in die Welt blinzelte und das Gesehene für so unschön befand, dass er sich seine Haare wieder schützend vors Auge legte. Diese Form der Absage an die Welt ist für das nächste Vierteljahr passé. Es bliebe das Schreien.
Der Blog macht nun eine kurze Sommerpause. Am 31.Juli meldet er sich braungebrannt zurück.

1 Kommentar:

  1. wow - du schreibst ja immer noch regelmäßig ...

    Glückwunsch zu Nummer 2 und dazu, dass beide so toll geraten sind. Tolle Eltern!

    Ganz liebe Grüße aus der Referendariatsstadt GE!
    Janine

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