Sonntag, 19. September 2010

Teil des politischen Widerstandes

Weich wuchtete sich der Windelhintern zwischen die elterlichen Köpfe gegen 7.30 Uhr. Zu eng, so das Urteil des Kindes, lagen diese beiden Köpfe nebeneinander. Der Platz zwischen den Eltern darf nicht aufgegeben werden und so wuchtete sich der Windelhintern genau zwischen die Gesichter. Warm und weich war er, und von daher war dieses sonntägliche Wecken auf der Skala der Kinderattacken noch relativ sanft, in der Aussage und Symbolik allerdings eindeutig.

Schließlich war der heutige Sonntag ja auch der Weltkindertag - ein Tag, der mit seiner puren Anwesenheit unterstellt, es gebe im sonstigen Jahresverlauf nur Tage, an denen die Erwachsenen Regie führen.

Einen großen Applaus verdient die Stadt Berlin an dieser Stelle aber für die ganz und gar großartige Umsetzung des Weltkindertages in Form eines riesigen Kinderfestes am Potsdamer Platz. Im Gegensatz zum sommerlichen Kika-Fest am Ostbahnhof hielt sich das Verhältnis der Attraktionen zu den wuselnden Kindern nämlich in vernünftigen Grenzen, sodass die Kinder tatsächlich bespaßt werden konnten und nicht nur in mehreren Kilometer langen Schlangen vor den Bespaßungsanlagen warten mussten.

Aus Platzgründen erfolgt hier deshalb nur die blanke Auflistung der Dinge, die Ella und Oscar heute am historischen Ort genießen durften: riesige Spielzeugeisenbahn bestaunen (begeistert daran fest klebend wie Kleister - Oscar), von Heuballen in die Tiefe springen (respektvoll in die Tiefe blickend und dann mutig springen - Ella), in dunklem Erdreich nach Kartoffeln suchen (ein ganzes Mittagessen gefunden - Ella; durch Erdreich gewatschelt - Oscar), Traktoren und Feuerwehrautos angucken, anfassen und sogar mal am Lenkrad sitzen (immer noch perplex, dass ihm dieses Glück vergönnt war - Oscar), als Pippi Langstrumpf verkleidet werden (mit Draht im Haar - Ella) und auf einer großen Wiese Fußball spielen (hechelnd - Oscar). Ja, er war ein guter Kindertag.

Auch tags zuvor war viel los in der Stadt. Mama, Ella und Oscar wollten unbedingt zur Anti-Atomkraft-Demo und schleppten das unter einer lebensgefährlichen Erkältung leidende Familienoberhaupt einfach mit.
Die Demo war super. Schließlich fand sie in der Nähe des Hauptbahnhofes statt. Mit einem lauten Kreischen machte Oscar der um den Atommüll besorgten Menschenmenge jedes Mal wieder klar, dass es auch noch andere Dinge gibt, als besorgt zu sein. Begeistert sein nämlich. Und zwar immer, wenn ein Zug in den Bahnhof einfuhr oder selbigen verließ. Da konnten die Leute in die Trillerpfeifen pusten wie sie wollten, Oscars Schrei war jedes Mal noch ein Dezibel lauter.

Die lärmende Menge machte dann an sich aber auch Eindruck. Vor allem auf Ella. Wie eine große Kita-Sause muss ihr das Verhalten der Erwachsenen vorgekommen sein. Verkleidungen, Trillerpfeifen, Fahnen, Lärm, rhythmisches Klatschen... Ella war begeistert.
Irgendwann fiel den Kindern auf, dass auch Luftballons Bestandteil des politischen Widerstands sind. Luftballons gut. Politischer Widerstand gut.
Als Mama dann einen Luftballon organisierte, war schnell klar, dass das einer zu wenig ist. Also gingen Ella und Christiane, beide zu ganz miesen Schauspielereien in der Lage, zu einer Dame, die aus Sicht der beiden eindeutig zuviele Luftballons in der Hand hielt.

Christiane begann zu lügen: "Entschuldigen Sie, das Mädchen hat gerade seinen Luftballon verloren..." Das war Ellas Stichwort. Ella rieb sich die Augen und begann zu schluchzen. Die Luftballon-Dame - auf Seiten der Guten kämpfend - konnte nun nicht mehr anders: Ella bekam einen Luftballon geschenkt und lernte so einiges in diesem Moment über das Lügen, über das Kindchen-Schema und über Erwachsene mit einem großen Herzen...

Das Wochenende endete mit einer Folge "Pippi Langstrumpf". Ella saß mit Draht im Haar als Pippi Langstrumpf vor dem Fernseher und musste mit ansehen, wie Pippi von blöden Ganoven beklaut wurde. Während die Original-Pippi dabei stets gut gelaunt blieb, weil sie zu wissen schien, dass das schon alles irgendwie wieder gut ausgeht, verkroch sich das Double vor dem Fernseher in Mamas Schoß. Erst ganz am Schluss hatte Pippi ihre Goldstücke zurück. Nach einer furchtbaren halben Stunde konnte Ella auch wieder lächeln.
"Papa, stell dir mal vor. Jemand klaut einem anderen was, und fragt vorher nicht, ob er das darf. Das ist doch voll blöd, oder?"

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