Sonntag, 16. Mai 2010

Minute 43

Da Ella erst drei Tage weg war, weil sie mit ihrem Kinderladen in die mecklenburgische Metropole Ollendorf reiste, und dann vier Tage komplett an unseren Beinen hing, weil der Kinderladen langes Wochenende hatte, war die Woche durchaus wechselhaft, was Elternbelastung angeht.

Die intensiven vier Tage, die hinter uns liegen, haben wir aber eigentlich besser als sonst gemeistert. Es gab wenig Tränen, wenig Schreie, wenig Tritte. Kein Kind musste vor Ärger brechen. So langsam werden wir in diesem Punkt besser, was aber vor allem daran liegt, dass zum einen Oscar nicht mehr zahnt und zum anderen Ella kein Kleinkind, sondern ein Mittelkind, oder kurz: Kind, ist.

Ella verabschiedete sich von dem Kleinkind-Dasein am Freitagabend, gegen 18:50 Uhr. Im Fernsehen lief parallel zur KiKa-Serie "Huhu Uhu", die man im Übrigen nicht aussprechen kann, ohne den Unterkiefer auf groteske Weise viermal binnen kürzester Zeit nach vorne zu schieben, ein Fußballspiel.
Papas Unterkiefer begann sein Werk: "Willst du "Huhu Uhu" gucken oder Fußball." Erleichtert, die sieben U's hinter sich gebracht zu haben, lauschte er Ellas Antwort: "Fußball", sprach das Kleinkind.

Dann war Halbzeit. Wir schalteten um auf KiKa. Es lief "Huhu Uhu". Aber nur ein paar Sekunden, dann kam der Abspann und Ella brach in Tränen aus: "Ich wollte viel mehr 'Huhu Uhu' sehen", schluchzte das Kind.
Nachdem der folgenden "Sandmann" so einiges wieder gutmachen konnte, wollte sich Ella nicht umziehen. Es lief im Fernsehen übrigens wieder Fußball, die 42.Minute des Spiels Nürnberg gegen Augsburg.

"Ella", so Motivationskünstler und Psychologe Papa. "schaffst du es, dich umzuziehen, bis da oben im Fernsehen eine 43 steht?" - In Ellas Augen sah man, dass die Wette galt.
Während die Sekunden verrannen, verhedderte sich Ella in ihrem Unterhemd und hatte anschließend auch noch große Probleme mit dem Schlafanzugoberteil.
Das Bayern-Derby steuerte derweil auf die in Berlin-Kreuzberg äußerst bedeutsame Spielzeit von 43:00 Minuten zu.

Ella scheiterte kläglich. Mama pulte das Töchterchen aus den Klamotten heraus. Ella blickte auf die Zeit im Fernseher. Da prangte überdeutlich eine große Dreiundvierzig.
"Neinnnnnn", schrie Ella. "Da soll keine 43 stehen!"

Auch nach knapp vier Jahren gibt es sie noch: Die Situationen purer Hilflosigkeit. Mama und Papa waren so verzweifelt wie das Töchterchen. Bonjour unlösbares Problem.

Später wurden neue Wetten mit neuen Minutenzahlen abgeschlossen. Ellas Kampfgeist und Optimismus war wieder da. Sollte der Tag ein gutes Ende nehmen? Sollte Ella als Siegerin ins Bett gehen?
Jawohl. Bevor die Minute 45 anbrach, war Ella im Schlafanzug.

Seitdem ist Ella nicht mehr unlogisch gewesen. Sie wachte am Samstag auf und war seitdem ein ernstzunehmender Gesprächspartner und handelte weitestgehend rational. Sie ist - lassen wir eine knappe Formulierung einfach mal wirken - über Nacht groß geworden.

Leider wissen wir über die Kinderladenfahrt dennoch nicht viel. Kinder in Ellas Alter sind nämlich in der Lage, hochkomplexe Dinge wie eine dreitägige Fahrt auf einen Reiterhof nach Ollendorf mit einem Wort zusammenzufassen: "Gut". Gut war's. Und sie ist vom Pferd gefallen. Mehr wissen wir nicht über diese drei Tage. Ein weißer Fleck in Ellas Biographie.

Und Oscar? Der hat die Ella-freie Zeit genossen und seine Schwester gleichermaßen vermisst. Im Übrigen lernt er so langsam, sich gegen die menschenunwürdigen Attacken seiner Schwester zu wehren.
Es ist nicht lang her, da sprang er plötzlich auf, rannte schreiend auf Ella zu und warf sie um. Die derzeit geltende Hackordnung wird von Oscar mehr und mehr hinterfragt.

Dass im Leben von Oscar alles seine Ordnung haben muss, darüber schrieben wir schon letzte Woche. Immer noch aber sind wir fasziniert von dieser Eigenschaft, die er von seinem Onkel Fredde haben muss, denn sonst fällt uns niemand in der Familie ein, der derart akkurat durchs Leben geht. Zumindest war das beim Onkel wohl früher so...

Wenn Oscar beispielsweise gegen seinen Willen ins Bett gelegt wird, dann tut er das, was Menschen in seinem Alter dann tun: Schreien.

Oscar aber hält noch im Ärger Ordnung:
Er wird ins Bett gelegt. Er fühlt Ungerechtigkeit und weiß, dass er schreien müssen wird. Da ist aber noch der Schnuller im Mund. Hmmmm.... Okay. Er greift sich seinen Schnuller, legt ihn fein säuberlich neben sich. Der Mund ist nun bereit zum Schrei. Und dann erst geht's rund. Ordnung muss sein...

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