Sonntag, 15. März 2009

Knochenprinzip in Berlin

Während Oscar zwischen den angenehmen Dauerzuständen des Schlafens oder des Verwöhntwerdens hin und her pendelt und daher bislang die wirklich dunklen Seiten des Lebens noch nicht kennen gelernt hat, kann Ella ja durchaus eher gute von eher schlechten Wochen unterscheiden. Ganz eindeutig liegt eine Woche hinter uns, die aus Ellas Sicht eher gut, oder anders ausgedrückt, paradiesisch war.

Ella hatte Berlin gebucht. Acht Tage, all inclusive. Mitsamt ihrer Familie reiste sie zu Oma und Opa ins beschauliche Lichtenrade, war dort nach der Oma stets als Zweite wach, kümmerte sich um den Frühstückstisch und genoss die Standards wie Reichelt (Omas Lieblingssupermarkt mit tollen Spielmöglichkeiten), Rundumbespaßung durch die Großfamilie, Cornflakes all you can eat, aber auch außergewöhnliche Extras wie spannende Besichtigungen von Wohnungen, Verwandten und Freunden.
Aus Ellas Sicht war aber vor allem der Weg das Ziel, denn die Kleine mausert sich zum Riesen-Fan des ÖPNV. S-Bahn, U-Bahn, Bus. Ella steigt immer gerne, und nur ganz selten begleitet von Wutausbrüchen, ein...

Oscar dagegen blinzelte in die Hauptstadt ohne wirklich beeindruckt zu sein. Verschiedene Leute lobten ihn für seine ausgeprägte Niedlichkeit und am 13.März huschte das erste Lächeln über sein Gesicht.
Es galt der Mama. Oscar lag im Arm und strahlte sie an. "Seht her", sprach dieses Lächeln, "ich bin die ganze Zeit schon glücklich und von freundlichem Gemüt. Allein die Gesichtsmuskeln waren bis eben nicht ausgeprägt genug, dies mimisch darzustellen."

Das zweite Lächeln galt dem Geburtstagskind Raul. Alles andere als erfahren, was den Bereich Babys betrifft, brauchte Raul nur etwa 20 Sekunden um den kleinen Oscar zum Strahlen zu bringen. Es war der Moment, wo der leibliche Vater langsam sauer wurde. Erst am Folgetag sollte auch dieser angelacht werden.

Wie oben erwähnt, fährt Ella gerne im Nahverkehr. Die Berliner S- und U-Bahnen haben je nach Baujahr den großen Nachteil, durchgängig zu sein, also schätzungsweise 100 Meter lang zu sein, ohne dass irgendwelche Wände durch den Zug latschende Kleinkinder aufhalten würden.
Mama und Papa wussten sich mit ihrer Tochter, die in Zügen erstaunlich viel laufen kann (außerhalb neigt man zur Faulheit) nicht anders zu helfen als mit dem sogenannten Knochenprinzip.

Das Knochenprinzip funktioniert wie folgt: An beiden Enden des Zuges sitzt ein Elternteil. Ella kann daher durch den Zug streunen ohne gänzlich aus dem Blickfeld zu marschieren. Beachtliche 10 mal durchquerte Ella den Zug zwischen Mama und Papa und zwischen Lichtenrade und Yorckstraße. Umgerechnet war das ein knapper Kilometer.

Nur heute, in der tückischen U6, funktionierte nichts mehr.
Eingestiegen. Knochenprinzip. Papa hinten. Mama und Oscar vorne. Ella immer unterwegs.
Plötzlich steigt eine spanische Reisegruppe ein. Es handelt sich um etwa 15 Personen, die als schüchterne Touristen nicht Platz nehmen, sondern den Gang - Ellas Gang - verstopfen.

Hinter dem iberischen Hindernis hörte Papa schnell ein panisches Kind. "Ich will zu meinem Papa". Die Spanier schienen diesen grundlegenden Satz der deutschen Sprache ganz vorne in ihrem Reiseführer gelernt zu haben, denn es dauerte nur etwa bis zur dritten immer schriller vorgetragenen Wiederholung, ehe die Spanier auseinanderwichen und dem hochroten Kinde den Durchgang zum Papa ermöglichten. Es war eine geradezu biblische Szene... Moses teilte das Meer und Ella die Touristen, nur aufgrund ihres lieblichen Geschreis.

Das selbe Geschrei sorgte übrigens an manch anderer Stelle in und außerhalb des Nahverkehrs für weniger biblische Szenen. Zumindest reicht unser Religionswissen nicht aus, um die tobende Ella zu beschreiben, die bei Oma und Opa, bei Jonathan, bei Flora und am Priesterweg für bürgerkriegsähnliche Zustände sorgte.

Heute kam Post. "Ihr Kind befindet sich nun am Ende der Trotzphase." Wir fragten nach: "Ella, ist deine Trotzphase bald vorbei?" - "Jetzt!", strahlte Ella und hat seitdem erst ein oder zweimal gegen das Versprechen verstoßen.

1 Kommentar:

  1. Liebe Ella-Eltern,
    kauft dem armen Kinde bitte bald eine richtige Brille. Meine ist vom angrapschen immer noch ganz verknotet.

    Auf bald!

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