Sonntag, 10. Februar 2013

Die Eier-Lüge

Am Dienstagabend war Oscar im Prinzip schon im Delirium.
Beim Abendbrot versuchte er, einen Witz nach dem anderen zu erzählen, doch leider sind in seinem Langzeitgedächtnis derzeit keine Witze hinterlegt. So improvisierte der Herr Brot kauend drauf los und erzählte Kleinst-Geschichten, die allesamt mit der Pointe endeten "Du bist eine Ketchup-Flasche". Jedesmal, den Effekt kennt man auch von Helge-Schneider-Auftritten, wurde diese Nicht-Pointe lustiger. Papa jedenfalls lachte sehr und begriff dabei nicht, dass Oscars Ketchup-Performance ein verzweifelter Hilfeschrei war - vielleicht ist das bei Helge Schneider ja auch so...

Oscar musste am Dienstagabend jedenfalls klar gewesen sein, dass der fieseste Virus seines Lebens bereits in ihm nistete. Während Oscar verzweifelt von Ketchup-Flaschen sprach, weil weite Teile seines zentralen Nervensystems schon brachlagen, fraß sich der Virus von Zelle zu Zelle unseres Sohnes.

Am nächsten Morgen dann noch nichts Weltbewegendes: Das Kind ist halt krank. So wie neuerdings alle zehn Tage. Was haben wir diesmal? Fieber. Gut, recht hoch.

Oscar schlief dann den ganzen Tag. Das ist auch noch nicht weiter verwunderlich. Ist unser Sohn nämlich krank, so schläft er 24 Stunden lang. Das kann neben ihm lediglich der Miet-Opa ebenso gut. Nach Ablauf dieser 24 Stunden, hier trennen sich die Beschreibungen von Oscars und des Miet-Opas Umgang mit Krankheiten, steht Oscar auf und rennt quietschend und lachend durch die Wohnung. Er gilt dann als geheilt.

Am Donnerstag begannen wir uns zu wundern. Der Sohn schlief immer noch. Über Arztbesuche wurde nachgedacht, doch war Oscar nicht transportfähig. Er lag und schlief. Hier und da weinte er kurz auf. Essen und Trinken ging auch nicht. Mama und Papa hatten an diesem Donnerstag so mittelgroße Sorgen. Für Freitag jedenfalls wurde ein Arzttermin vereinbart.

Transportfähig war Oscar am nächsten Tag zwar immer noch nicht, aber Papas Sorgen waren nun doch schon derart angeschwollen, dass ihm dies egal war, wenn nicht ein Grund mehr, endlich zum Arzt zu gehen.
Oscar war immer noch nicht ansprechbar, hatte unfassbar trockene und verklebte Lippen und hing nun auf Papas Arm.

Beim Kinderarzt folgten einige Szenen, die man sich bei Kinderarztbesuchen nicht wünscht. Die Szene zum Beispiel, als der Arzt vielleicht 20 Sekunden lang schweigend auf Oscar guckt und dann dem Vater messerscharf diagnostiziert: "Sonderlich gut sieht der wirklich nicht aus...". Der Arzt grübelte und grübelte. "Sag mal A", sprach er voller Verzweiflung zu Oscar. Oscar konnte nicht "A" sagen - er probierte es, aber es ging nicht. Papas Sorgen waren nun beträchtlich.

Dann aber zeigte sich Oscar erstaunlich kooperativ. Der Arzt nämlich glaubte mittlerweile an eine Salmonellen-Vergiftung. Papa sollte ihm alles über Eierspeisen der jüngeren Familienhistorie erzählen. Ein paniertes Schnitzel... Nee, das könne es nicht sein, sagte der Arzt. Bei Salmonellen müsse das Ei schon irgendwie weich gegessen werden... Dann aber Auftritt Oscar, der die Diskussion zwischen Vater und Arzt genauestens belauscht hatte.
Papa (zum apathischen Sohn): "Sag mal Oscar. Gab es in der Kita am Dienstag Ei?"
Oscar (der eben noch nicht A sagen konnte): "Ja."
Arzt und Papa zucken zusammen.
Oscar (immer glaubwürdiger werdend und niedlich lispelnd): "Eier mit Senfsoße."
Arzt (frohlockend, fast schon jubelnd): "Waren die Eier hart oder weich?"
Oscar: "Weich."
Arzt: "Yesssss" (nur in Gedanken)

Papa trug seinen salmonellenvergifteten Sohn nun wieder nach Hause. In der Kita wurde schnell nachgefragt. Eier? Nee. Eier gab's diese Woche nicht. Oscar war mittlerweile erneut nicht ansprechbar. Die Sorgen von Mama und Papa waren nun wieder immens.

Und nun gelangt dieser Blog-Eintrag endlich zum Happy-End: Am Nachmittag erfuhr die hektisch telefonierende Mutter von Kita-Eltern, dass deren Sohn die gleichen Symptome wie unser Sohn zeigte, ehe er dann am dritten Tage wieder auferstand von den Toten. Bei Oscar dauerte es an diesem dritten Tage dann noch bis 20:30. Wir guckten den Muppets-Film und irgendwann waren die Kermits und Piggys und Fozzies zu viel für unseren Sohn. Er kicherte.

Aufregung bei Mama und Papa. Oscar kichert. Ella nutzte die Gelegenheit und bespaßte Oscar auf eine Weise, die nur Kinder komisch finden. Ella hampelte vor Oscar hin und her und schrie dabei seltsame Silben aus. Oscar kicherte erneut. Am nächsten Tag, und auch heute, war er nur noch krank. Nicht mehr komatös.

Man muss bei dieser Geschichte im Übrigen auch noch erwähnen, dass Papa von Donnerstag und Mama von Freitag an ebenfalls krank waren. In Punkten gemessen (0 = gesund; 10 = tot) sah das ungefähr so aus:

Name
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
Mama
0
0
2
3
4
6
Papa
0
1
3
4
4
3
Ella
0
0
0
0
0
0
Oscar
2
9
9
9
7
6


Aus Ellas Sicht war das - wenn man die Tabelle ganz genau ansieht - ebenfalls eine abscheuliche Woche. Und wie das in Notsituationen so ist, lief sie zu Bestform auf: Am Freitag beispielsweise spielte sie gegen sich selbst Mensch-ärger-dich-nicht.
Siechend lagen Mama, Papa und Oscar im Wohnzimmer. Nebenan fiel etwa 300 Mal der Würfel. Dann trat Ella vor die Sterbenden: "Ich habe gewonnen.", sagte sie. "Gegen wen?", röchelte Mama. "Ich hab beide gespielt. Mich und einen anderen. Aber ich habe gewonnen." - "Wer war der andere?", hustete Papa. "Weiß ich nicht.", sagte Ella.

Am Sonntag dann las Ella mal eben 32 Seiten in einem Buch. Zwei Stunden lag sie still auf dem Sofa und las. Wie überaus furchtbar wäre eine Ella in dieser Woche gewesen, die weder gegen sich Brettspiele spielen noch ganze Romane lesen kann.

Ellas Wochenhöhenpunkt war der Samstag. Die kränkelnden Eltern waren auswärts geladen. Oscar war mittlerweile fürs Babysitting freigegeben. Oma kam. Ella freute sich. Und dann? Oma auch krank. Viren allerorten. Und Ella steckt sich nirgends an.

Hoffen wir das Beste: Am Dienstag feiert Ella in ihrer Schule Karneval. Seit Dezember zieht sie in jeder freien Minute ihr Flamenco-Kostüm an. Beten wir zum Himmel, dass sie diesen Tag nicht krank im Bett verbringen muss.

Ach ja: Die Fotos des heutigen Eintrags stammen zum Teil aus dem Zoo und der Zeit als diese Woche noch gut war. Ella und Papa lachten sehr über die Frisuren der Yaks... Am Abend dann erzählte Oscar von den Ketchup-Flaschen...

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