Sonntag, 10. April 2011

Eineinhalb Lattenjahre

Es liegt im männlichen Genom, dass es eine Lebensphase gibt, in der sich der Träger des Genoms für den Allergrößten hält. Bei den meisten männlichen Menschen beginnt diese Lebensphase irgendwann im frühen Kleinkindalter, bei nicht wenigen Exemplaren endet sie auch irgendwann wieder.

Oscar ist jetzt auch in dieser für Außenstehende manchmal etwas unangenehmen Phase angelangt. Oscar hält sich für den Größten, obwohl es zuletzt zwei deutliche Beweise gab, dass Oscar noch nicht groß ist.

Der erste Beweis war die Übernachtung im Kinderladen, die ausdrücklich nur für große Kinder möglich war. Prompt fand Oscar sich zu Hause, während die wirklich schon große Ella in einer bizarren Mischung aus Heimweh-Weinen und Vorfreude-Lachen ihre Eltern und den nicht großen Bruder am Donnerstagnachmittag verabschiedete um im Kinderladen zu übernachten. Im Programm enthalten war übrigens auch eine Nachtwanderung durch den Viktoriapark, aber da Ella noch nicht im Alter des an Adjektiven reichen Wortschatzes angekommen ist, können wir nicht viel mehr ausrichten, als dass die Kinderladenübernachtung "gut" gewesen ist.

Der zweite Hinweis auf Oscars fehlende Größe ergab sich im Fachgeschäft Woolworth. Papa und Oscar waren dort in der letzten Woche zugegen, Oscar suchte unter anderem eine tolle Thermoskanne für dioe Gartenlaube aus, weshalb sein Jubelgeschrei bei jedem eingegossenen Kaffee derzeit recht groß ist. Oscar brüllt in die Gartenidylle in etwa "Okkra Mein Bau" und will damit ungefähr sagen, dass Oscar selber die Kanne ausgewählt hat und nicht etwa die grüne griff, sondern die blaue wählte.

Das war das Gute am Woolworth-Besuch. Das Schlechte war, dass dort eine Messlatte hing, die nicht nur die Körperhöhe, sondern auch das Alter des Kindes anzuzeigen wusste. Doch die Latte irrte: Oscar, so die Latte, sei ein Kind von eineinhalb Jahren, was nicht weniger bedeutet, als dass die Latte etwa 9 Monate oder ein Drittel von Oscars Leben als null und nichtig erachtete.

Papa glaubte der Latte zunächst nicht. Er blickte nach unten. Die Latte begann tatsächlich ganz unten und zwar nicht bei "Minus 30 cm", sondern bei null. Eineinhalb Lattenjahre darüber lachte Oscar seine blaue Thermoskanne schwingend und war neun Monate zu klein.

Oscar selbst sieht das aber anders. Und deshalb lernte er in diesen Tagen neben vielen anderen tollen Wörtern (Bauernhof, Hammer, Fußball und anderes) auch das entscheidende Wort "groß". Das furchtbare Gegenteil "klein" lernte er dann gleich mal mit und so kann er endlich sagen, was ihn so beschäftigt: "Ella klein. Papa klein. Mama klein. Okkra groß."
Im Garten lehnt er die Beschäftigung mit seiner Kinderschubkarre ab, latscht zur echten Schubkarre, die laut Woolworth schon zwei Jahre alt sein dürfte, stellt sich auf die Zehenspitzen, droht von der Karre erschlagen zu werden und ächzt "Okkra groß". Aus der Schraubenzieherbox zieht Oscar zwei Schraubenzieher unterschiedlicher Größe, hält mit ernster Miene den kleineren hoch und sagt "Hammer klein.", dann hellt sich sein Gesicht auf, er hält den großen Schraubenzieher hoch und sagt "da Hammer groooß". Den kleinen Schraubenzieher wirft er nun beiseite. Schäbiges kleines Ding. Kleine Dinge sind verabscheuungswürdig. Oscar reckt den großen Schraubenzieher empor: "Okkra Hammer grooß".

"Oscar, das ist kein Hammer. Das ist ein Schraubenzieher", erläutert der Vater. Oscar verstummt und zählt innerlich die vier Silben des Werkzeugs durch. "Okkra grooß", sagt er dann und latscht weg.

Von unterschiedlich großen Bällen wäre ähnliches zu berichten, von unterschiedlich großen Schaufeln auch. Oscar will nur das größte. Der Rest ist Mist.

Ella dagegen ist tatsächlich groß. Die Erzieher des Kinderladens sagten daher folgendes: "Die wird sich in der 1.Klasse langweilen." - Was war geschehen? Nun. Ella fängt jetzt ernsthaft an zu lesen.
Papa druckt per PC ein paar nicht allzu komplizierte Worte aus (Kamel, Oma, Tiger, Löwe, Keller) und so weiter und reicht Ella das Blatt. Diese kommt dann mit mehr oder weniger Hilfestellung tatsächlich dahinter und liest dann stolz vor. Den Satz "Ella und Oscar gehen in den Zoo. Im Zoo sehen Ella und Oscar Tiger und Elefanten." konnte Ella dann auch irgendwann lesen und da sie ein paar Minuten später fix und fertig war und über einem neuen Blatt Wörter zunehmend verzweifelte und - wir lesen uns den Blog seit 2006 noch einmal schnell durch - bekanntermaßen ja auch ein recht emotionaler Mensch ist, brach sie über ihrer Aufgabe heulend zusammen und kauerte winselnd neben dem Blatt. Papa druckte schnell noch die Worte "Wuhääää" und "Wääähäääää" aus. Wir hielten Ella das unter die Nase. Heulend und jammernd machte sie dann "Wuhääää" und "Wääähäääää" und reagierte irritiert, als ihre Eltern sie aufgrund des korrekten Vorlesens enorm lobten. Irritierte Kinder heulen nicht und so war dann schnell wieder alles gut.

In einem von beiden Kindern hoch geschätzten Buch ist ein Bild zu sehen, auf welchem die Feuerwehr im Großeinsatz ist. In einen Fluss ist irgendein doofes Zeug gelaufen. Benzin oder Öl oder so. Die Feuerwehr, so Mamas fachkundige Erläuterungen, gibt nun Bindemittel in den Fluss, damit das doofe Zeug verklumpt und herausgefiltert werden kann. Ella findet das sehr spannend. Mitten beim Essen erzählte sie Papa davon. Und da sie sich alles super merken konnte, auch dass das Zeug, das die Feuerwehr in den Fluss kippt, mit "B" anfängt, hat Papa auch alles ganz gut verstanden. Dass da Öl im Fluss ist und dass da die Feuerwehr kommen muss. Und dass die Feuerwehr dann da Basilikum in den Fluss kippt...

Ansonsten ist Ellas Sprechkomopetenz natürlich ausgezeichnet. "Papa", sagte sie heute beim Abendbrot, "wo du neben der Spüle sitzt - könntest du das Wasser aus der Frischkäsepackung abtropfen? Dann muss keiner von uns aufstehen." Dies war die Minute, in der sie zur höflichsten Sprecherin ihrer Familie aufstieg. Oscar bot gleichzeitig das Kontrastprogramm eines um sich schlagenden und brüllenden Dings.

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