Montag, 23. April 2012

Ernervte Bonbons und gekaufte Krosongs

Es gehört seit langem zu Ellas Repertoire, dass sie am Wochenende gerne mal die Frühstücksbrötchen holen geht. Leider ist es aber so, dass zwischen uns und den drei Bäckereien, die allesamt keine 50 Meter von unserer Wohnungstür entfernt liegen, reißende Straßen liegen. Ein übermüdeter Erwachsener muss also stets mitgehen, wenn unsere Tochter gegen 7:10 den Entschluss fasst, für das Frühstücksgebäck zu sorgen.

Papa lag zu genau dieser Zeit noch mild schlummernd im Bett. "Schreib schon mal auf einen Zettel, welche Brötchen wir brauchen", grunzte er ins Kopfkissen, um noch drei Minuten Zeit zu schinden.
Ella befragte daraufhin ihre Familienmitglieder, ließ aber den noch vollkommen bewusstlosen Oscar weiterschlafen. Es ist von Oscar ohnehin ausreichend bekannt, dass er sein Frühstück erst durch ein Mohnbrötchen komplettiert sieht. Und so schrieb Ella ihren Zettel:

"2 SCHEPE. 2 KROSONG. 1 MONBROTCHEN. 1 SESAMBROTCHEN. 1 TAGSSBIGL." - Völlig zurecht wurde sie daraufhin von ihrem Elternhaus gelobt. Ella schreibt mit ihren fünfdreiviertel Jahren schon auf dem Niveau eines Berliner Gesamtschülers der 9.Klasse. Papa weiß das.

Inzwischen ist Papa übrigens soweit angezogen, dass er seine Tochter über die Straße geleiten kann. Artig wartet er danach vor der Tür der Bäckerei und guckt Ella beim Brötchenkaufen zu. Viel schiefgehen kann ja nicht, Ella hat schließlich ihren Zettel dabei. Dann aber geschieht Unlogisches.
Ella liest ihren Zettel, der bekanntlich nicht im Standarddeutsch, sondern in Ellas Version des Deutschen verfasst ist, nicht etwa vor, wie Papa gehofft hatte. Nein. Sie reicht den Zettel der Bäckerin.

Die Bäckerin ist ganz offensichtlich keine deutsche Muttersprachlerin. Sie nimmt den Zettel an. Papa fängt vor dem Schaufenster an zu schwitzen. Ob sich das nicht ganz korrekte Schriftdeutsch unserer Tochter mit dem wahrscheinlich auch nicht ganz korrekten Schriftdeutsch der Bäckerin zu einer dechiffrierbaren Zeichenanordnung fügt?

Die Bäckerin fängt an zu lesen. Ihre Augenbrauen ziehen sich hoch. Eine zweite Bäckerin wird herbeigerufen. Regungslos steht unterdessen die Verfasserin des Zettels vor den beiden grübelnden Verkäuferinnen und schweigt erwartungsfroh. Papa vor der Tür darf den Laden nicht betreten, will er sein Töchterchen nicht ins Unglück stürzen. Er schwitzt. Ein Frühstück ohne Krosong und Tagssbigl droht. Und das am Samstag.

Aber da diese Geschichte in Kreuzberg spielt, löst sich nun alles in Wohlgefallen auf. Ella erhält den Zettel zurück und kann ihre Bestellung nun vortragen. Papa bekam sein Frühstück mit Croissant und dem Tagesspiegel und Oscar - inzwischen erwacht - sein Mohnbrötchen.

Ein paar Tage zuvor war dagegen nicht nur die halbe, sondern die gesamte Familie shoppen. Papa wollte in Zukunft auch bei Regen mit trockenen Füßen durch die Stadt spazieren können und schrie deshalb "Schuhe!". Ella, Oscar und vor allem Mama hatten dann auch plötzlich Lust auf Schuhe.

Im Schuhgeschäft suchte Papa nach einem optisch ansprechenden und formstabilen Paar Schuhe. Er fand dieses nach etwa 60 Sekunden und war nun eigentlich fertig mit Schuhekaufen. Die Mutter dagegen hatte ihre eigene Schuhrecherche nun gerade erst begonnen und Ella und Oscar entdeckten ganz neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung: Rennen durch riesige Schuhgeschäfte.

Vor allem Oscar surrte durch den Laden und entdeckte dann Abenteuerliches: Ein Absperrband in rot-weiß. Dahinter befand sich auch noch Schuhgeschäft, aber ohne Regale. Man baute wohl gerade ein bisschen um. Oscar tat, was er in diesem Moment für richtig hielt. Er griff sich einen im Schuhgeschäft herumstehenden Mülleimer, umarmte ihn innig und rannte ächzend mit dem Drahtgestell weg.

Papa saß im Schuhgeschäft, guckte glücklich auf seine Schuhe und wurde dann jäh aus dieser kleinen Minute der Ruhe gerissen. Irgendwo schepperte es.
Papa guckte sich um und sah aus dem Augenwinkel einen Mülleimer durch den abgesperrten Bereich des Schuhgeschäftes gegen irgendwelche Säulen scheppern. Reflexartig schrie er "OSCAR!" - und handelte damit intuitiv richtig, denn hinter dem nun still stehenden Mülleimer guckte verschämt lachend das Gesicht des Sohnes hervor.
Eine Schuhverkäuferin eilte herbei. Gut so. Nun müsse Papa nicht schimpfen und zurechtweisen. Das macht jetzt bestimmt die Verkäuferin.

Die Verkäuferin griff sich Ella, Oscar und den Mülleimer. Sie sagte: "Wollt ihr einen Bonbon?"
Oscar - vor Anstrengung noch puterrot im Gesicht - nickte und hat in diesem Moment wieder einige Zusammenhänge erkannt. Dass man beispielsweise Bonbons bekommt, wenn man mit Mülleimern durch Schuhgeschäfte rennt und an Säulen knallt. Die Kinder, die dies nicht taten, gingen nämlich leer aus. Oscar weiß: Man muss auffallen in dieser Welt. Die Bonbons reichen nicht für alle 7 Milliarden Menschen. Gibt es das Verb "ernerven"? Oscar ernervte sich an diesem Nachmittag Bonbons. Und den zynischen Schlusspunkt setzt Oscar dann selbst: Ratlos steht er mit dem Bonbonpapier im Schuhgeschäft, will es wegwerfen und deutet schließlich dorthin, wo er selbst zuvor den Mülleimer entwendete, und beschwert sich: "Da stand der Mülleimer!"

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