Montag, 2. April 2012

Die Erdkruste ist kein Delfin. Oscar aber ist krank.


Am Donnerstag waren die Stimmungen dieser Familie unterschiedlich. Papa trennte noch ein Arbeitstag von den Osterferien, weshalb noch kein seliges Lächeln auf seinem Gesicht gesehen wurde. Oscar und Ella standen vor der alljährlichen und für Oscar ersten Kinderladenübernachtung, was in der Kindergeneration dieser Familie für große Aufregung sorgte.
Taschenlampen und Matratzen wurden in den Kinderladen geschafft, Schlafsäcke gegriffen und dann waren Ella und Oscar für rund 24 Stunden weg. Der Kinderladen übernahm.

Für diese Zeit, vor allem also für den Donnerstagnachmittag, hatte Mama einen Gute-Laune-Tag mit ihrem Manne geplant. Dieser kam aus der Schule, wurde danach in einen libanesischen Film, ein brasilianisches Restaurant und schließlich in ein Weinlokal gezogen. Irgendwann schlief er mal, vermutlich im Kino.

Zwischen Restaurantbesuch und Weinlokal gingen Mama und Papa am Kinderladen vorbei. Hell erleuchtet war dieser und das Getobe von etwa zwanzig Kindern darin war bis durch die festen Außenwände zu hören. "Guck mal, Kinder", kicherten Passanten, die eng umschlungen daran vorbei gingen. Den Erzieherinnen stand eine teilweise schlaflose Nacht bevor.

Hätten zwanzig Oscars im Kinderladen genächtigt, dann wären aber auch die Erzieher zu einer vollen Dosis Schlaf gekommen, denn unser Knirps verhielt sich absolut vorbildlich bei seiner ersten Nacht außerhalb jeder volljährigen Verwandtschaft.

Andere Kinder aber waren weniger unkompliziert. So berichtete Ella am Tag danach selbstkritisch, sie hätte "ein bisschen gejammert in der Nacht". Diese Worte wurde seitens der Erzieher nicht gewählt. Von einem regelrechten Schreikrampf war da die Rede und da wir diese ja noch gut kennen, können wir nüchtern diagnostizieren, dass Ella den hoffentlich letzten Nachtschreck ihres Lebens im Kinderladen hatte und sind da absolut zufrieden mit.

Seit Freitag herrscht hier grundsätzlich gute Stimmung. Papa, Ella und Oscar stehen vor einer gemeinsamen Ferienwoche, Mama darf jeden Morgen das vorprogrammierte Chaos verlassen. Alle sind irgendwie glücklich.

So rechnete Ella zu Beginn dieser Ferien in einem Lernheft auf extrem hohem Niveau und geht mit den abstrakten Symbolen <, > und = mittlerweile etwas sicherer um als die meisten anderen Menschen ihrer Familie.Oscar, von Tuten und Blasen weitgehend ahnungslos, markierte dabei dennoch den Oberlehrer, als er sich in die mathematische Diskussion mit einer messerscharfen Beobachtung einklinkte: "Das ist doch keine Jei", sprach der Sohn, überheblich auf eine von unserer Tochter gezeichnete Zwei deutend und machte sich auf diese Weise, und den eigenen Sprachfehler dabei offenbarend, über die Optik von Ellas Zahlen lustig.

Tags drauf erkrankte der Schlaumeier. Mama und Papa diagnostizieren: Kranke Augen, Müdigkeit. Dumm nur, dass sich Oscar zur selben Zeit gerade in einem Museum befand. Verschiedene Knöpfe wollten bedient werden, während Mama und Ella aus Resten eine Handtasche bastelten, die geöffnet die Flagge Polens und geschlossen die Flagge Österreichs darstellt. Oscar lag, die  tollen Museumsknöpfe missachten, fix und fertig neben den handarbeitenden Damen und hielt wacker durch. Kein Geschrei, nur hier und da ein leises Wimmern. Ein echter Mann war krank.

Der erste gemeinsame Werktag wurde somit ein eher ruhiger. Oscar vegetierte vor sich hin. Ella kämpfte an Papas Laptop gegen die Langeweile. Dann aber stellte sie die falsche Frage.
Wie das denn so mit den Erbeben in Japan sei, wollte Ella wissen. Papa, der seit fast zwei Jahren kein Erdkunde mehr unterrichtet hat, dozierte sich in einen Rausch.

Atlanten und Schulbücher für Zehntklässler wurden gewälzt. Und was es da alles der staunenden Ella zu erzählen gab: Ein wabbliger Erdmantel, darauf Brocken von Erdkruste. Hin- und Herbewegungen. Gebirge. Himalaya. Indien war früher eine Insel und dann PENG! Faltengebirge.

Papa, das merkte er selber, kam vom Hundertsten ins Tausendste. Ella hörte sich den etwa zehnminütigen Vortrag über Plattentektonik, Gebirgsbildung, Vulkanismus und Erbeben an. Danach erinnerte sie ihren Papa daran, dass sie erst 5 ist: "Papa, wenn die Erdkruste da abtaucht, dann taucht die aber nicht wieder auf, denn dann wäre sie ein Delfin." Richtig, Ella. So kann man das sehen.






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen