Anders gesagt: Wir waren weltweit wohl die einzigen
Menschen, die quasi über drei Behausungen verfügen, die aus einer
organisatorischen Dummheit heraus jedoch alle drei derzeit Baustellen sind. Der
Dachdecker aber ist ein Mann von sensibler Wahrnehmung und so schlug er vor,
nachdem er sich das Leid der Flüchtlingsfamilie (, die mit dem nötigsten Hab
und Gut im Rucksack in ihren Garten fiel,) anhörte und vor allem in die
aschfahlen Gesichter der vom Umzug Gezeichneten sah, dass er theoretisch auch
eine Dachdeckerpause einlegen könne. Müde nickte der Vater und half beim
Abbauen der Baustelle. “Das
Dach ist soweit dicht“, sprach der Dachdecker noch, als er mitsamt der
Baustelle von Dannen zog.
Über diesen Satz dachten in der folgenden Nacht drei
Personen noch recht lange nach. Oscar, soviel sei angedeutet, gehörte nicht
dazu, denn Oscar schlief tief und fest in einer Nacht, die aufgrund eines
nachrichtenrelevanten Unwetters eine Drohkulisse erzeugte, die grob an die
Bombardierung durch eine feindliche Luftwaffe erinnerte. Blitze schlugen in
einer Entfernung von wenigen hundert Metern keck mal hier mal dort ein. Papa
war minutenlang irritiert und zutiefst verängstigt, weil er sich noch im
Einfluss eines doofen Traumes in einem Zelt wähnte und lange grübelte, was die
Raufasertapete in seiner Hand zu bedeuten habe, ehe ihm gewiss wurde, dass er
in seinem Gartenhäuschen steht. Währenddessen tobte draußen das Gewitter. Oscar
schlief.
Glück hatte das friedlich schlafenden Kind, dass ihn weder
ein Blitz traf, was unwahrscheinlich war, noch dass ihn der immer noch
vollkommen orientierungslose und fast panische Vater erschlug, als er sich
zurück ins Bett warf, welches – Trugschluss a) – nicht im Zelt, sondern im
Gartenhäuschen stand, und welches – Trugschluss b) – keinesfalls leer war,
sondern von einem kleinen lieben Jungen, der bei Krieg schlafen kann, bereits
in Beschlag genommen wurde. Die Wucht des ins Bett zurückfallenden Vaters
verfehlte Oscar zum Glück und auch die Blitze verfehlten uns, sodass wir
zufrieden in die Welt herausposaunen können, dass wir hier nach wie vor zu
viert unterwegs sind. Ohne Bleibe zwar, aber mit einem schlagenden Herzen in
der wackeren Brust. Das Dach hielt tatsächlich dicht, der sensible Dachdecker
hatte Recht.
Der liebe kleine Junge, der in dem Unwetter-Inferno, von
welchem wir soeben berichteten, eine Nebenrolle spielte, ist derzeit übrigens
vor allem in Gewitternächten sehr lieb und angenehm im Umgang.
Tagt es aber, so ist es schnell mal vorbei mit Oscars
Freundlichkeit. Fast ist es uns zu unangenehm, Einzelheiten von Oscars grobem
Fehlverhalten hier zu veröffentlichen, aber es muss sein, damit wir später
einmal augenzwinkernd unserem im Nachhinein überaus gelungenen Sohn vorlesen
können, wie ungut verschiedene Dinge liefen, als er dreieinhalb war. Oscar
nämlich riss in diesen Tagen einerseits Tapete im Gartenhäuschen von der Wand,
was der Vater vor lauter Aufgebrachtheit nur unter großen Mühen psychologisch
als „Kompensation des Schnullers“ deuten konnte, während die Mama, statt zu
deuten, Mehl anrührte und die Tapete mithilfe eines mittelalterlichen Kleisters
wieder in Position brachte. Andererseits setzte sich Oscar lobenswerterweise
aufs Töpfchen, kippte jedoch nach Vollzug den braunen Töpfchen-Inhalt mitten
auf den Rasen. Es ist derzeit schier unbegreiflich, wie zielsicher daneben sich
unser Sohn benehmen kann.
Wie einig sich die gesamte Welt darüber ist, wird auch klar,
wenn man sich vor Augen führt, dass die Erzieherin in einem Elterngespräch
lächelnd, doch überraschend direkt, in die Gesichter der Eltern sprach „Oscar
ist eine Arschmade“ und niemand der anwesenden Eltern es wagte, zu
widersprechen. Im selben Gespräch, das im Übrigen eigentlich von Ella handeln
sollte, nannte die Erzieherin unseren Sohn auch „Sonnenschein“. Dieses in der
Wissenschaft als „Oscisches Paradoxon“ bekannte Phänomen trifft den Nagel auf
den Kopf: Oscar ist großartig und furchtbar zugleich. Er ist wie „supergeiles
Wetter“, welches sich dann in Wahrheit als furchtbar viel zu heiß herausstellt
und mit einem Gewitter endet – hier schließt sich der Kreis, denn seit wir im
Garten wohnen, gewittert es jede (!) Nacht.
Kommen wir noch zu Ella. Wir bleiben aber beim Gespräch mit
der Erzieherin. Diese meint, neben diversen Großartigkeiten unserer Tochter ein
eher nüchternes Geschwisterverhältnis zwischen ihr und Oscar zu beobachten.
Repräsentativ stehe hierfür ein Satz von Ella, der sich schnell in ihre Liste
der fantastischsten Sätze, die man an als Erzieherin so hört, gespielt hat:
Ella wurde in der Kita gefragt, wer denn Oscar sei. Man
erwartete gefühlsschwangere Adjektivreihen, die Ellas tiefe Liebe zu ihrem
Bruder prosaisch nicht endgültig definieren, wohl aber andeuten könnten. Und
was antwortete Ella? Sie sagte: „Der wohnt bei uns“.
Der wohnt bei uns! Richtig. Und er kippt seine Losung auf
unseren Rasen und er reißt uns die Tapete von der Wand. Und lieb haben wir ihn
trotzdem. In der Wissenschaft heißt das „Oscisches Paradoxon“ oder so...
In den nächsten Tagen geht’s weiter rund: Ella wird sechs.
Einen Tag später entern wir die neue Wohnung. Mal sehen, wann wieder gebloggt
wird..
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen