Oscar, über dessen Sprechfähigkeit wir uns vor Monaten noch einige
Sorgen machten, ist deutschlandweit der einzige Zweijährige, zu dessen
Wortschatz das Wort "Schabrackentapir" gehört. Rein medizinisch
betrachtet dürfen wir unseren Sohn nun also als geheilt bezeichnen, denn
Sprachprobleme hat niemand, der beim Frühstück mit Schoki-Mund
"Schabrackentapir" hustet.
Verdanken tut Oscar dieses schöne Wort übrigens dem besonders
ausgeklügelten Musikgeschmack des Vaters. Der Liedermacher Funny van
Dannen ist es, der in regelmäßigen Abständen hier zu hören ist, und in
dem großartigen Song "Okapiposter" geht es nun mal darum, dass sich
jemand ein Okapiposter wünscht, dann aber - große Enttäuschung - kein
Okapiposter, sondern ein Schabrackentapirposter bekommt. Oscar und Ella
lieben das Lied und singen fröhlich mit. Und wenn Besuch da ist, dann
kommt es vor, dass der Vater - um anzugeben - den Refrain bis zur
entscheidenden Stelle intoniert, dann innehält und Oscar das große
Finale überlässt. Oscar atmet dann tief durch, konzentriert sich und
singt "Schabakntapii". Das ist derzeit Papas Lieblings-Zirkusnummer
hier.
Ella dagegen tut das, was neben ihr noch mindestens zwei uns
bekannte Kinder tun, nämlich das Lied mit dem Schinken und dem Ei
hören:
Vor allem morgens bekommt Ella große Lust auf das Lied,
vielleicht inspiriert vom Frühstück. Noch vor 8:00 läuft dann also der
Song "Eisgekühlter Bommerlunder" in Endlosschleife. Denn wie man einen
CD-Player bedient, das weiß Ella mittlerweile. Und wenn Song Nr.18 eben
immer und immer wieder zu laufen hat, dann weiß Ella, welche Hebel der
Anlage sie dafür in Bewegung zu setzen hat und beschallt das Haus mit
dem "Bommerlunder".
Um die derzeitigen Musikvorlieben unserer Kinder nun zu einem
Abschluss zu bringen, kommen wir noch einmal auf den Liedermacher Funny
van Dannen und seinen jungen Fan Oscar zu sprechen. Oscar sagt beim
Essen meistens irgendwann folgendes: "Wo ist der Mann, der 'Mohnkuchen
singt?" - Papa reicht dann eine CD mit dem Konterfei des Barden.
Manchmal gibt sich Oscar damit zufrieden und sieht die CD bewundernd an,
manchmal aber braucht Oscar mehr. Dann sagt er: "Ich will das
'Mohnkuchen' hören" und dann legt Papa die CD ein und die ganze Familie
lauscht dem Song "Mohnkuchen", in dem es um Trennung und Schmerz und
Kuchen geht. Oscar, Ella und Papa singen meist glücklich mit, während
Mama isst.
A propos Mama. Diese ließ an diesem Wochenende den Familienrest
alleine. Man besuchte Ella Patenonkel, der in Weimar Geburtstag feierte
und konnte sich mal wieder benehmen wie damals als man kinderlos war.
Mama feierte, schlief drei Stunden und musste dann schon wieder zurück,
denn das Wochenende war um.
Papa schlief in dieser Nacht zwei mal drei Stunden. Es wäre
gelogen, statt von "zwei mal drei" von sechs Stunden zu sprechen, denn
Oscar teilte mit dem militärisch artikulierten Befehl "Kuscheln!" die
Nacht in ein "Davor" und ein "Danach".
Papa war bis zu diesem
Zeitpunkt gar nicht so recht klar, dass Oscar recht eigenwillige
Vorstellungen vom Kuscheln hat, da der Sohn dieses Vorhaben meist mit
der Mutter erledigt. Diese jedoch tanzte in Weimar wie eine
Sechszehnjährige. Oscar musste den Vater in die Welt des Kuschelns
einführen und das dauerte. Denn Vater begriff nicht.
Papa
ließ nämlich, durchaus müde, lediglich eine Hand in Richtung Körper des
Sohnes sinken, auf das diese dort irgendetwas verrichte. Den Kopf
streicheln, die Schulter berühren. Das verstand der Vater bis gestern
unter Kuscheln um 3:00 nachts. Nicht so Oscar. Oscar schrie seine
Enttäuschung durchs Zimmer. Gleichzeitig zerrte er sich den
gleichermaßen willenlosen wie verunsicherten Vater in die Position, die
Oscar für gut befand. "Kuscheln", das lernte Papa in dieser Nacht, ist
in Oscars Falle ein in sich Verzahnen zweier Körper - eine Umarmung wie
man sie sich von einem verunglückten Bergsteiger denken mag, während
dieser von einem Sanitäter, der sich von einem Hubschrauber in die tiefe
Schlucht abgeseilt hat, emporgezogen wird. Neben dieser unterm Strich
viel zu heftigen nächtlichen Umarmung bestand Oscars Kuscheln auch aus
der massiven Verlagerung seines Körpers auf den bekuschelten Vater. Ein
Windelhintern fand sich plötzlich auf dem Gesicht, heftige Fußtritte im
Magen wieder. Kuscheln mit Oscar war eine echte Belastung, aber heute
ist ja dann die Mama wieder da...
Ob
alles sauber bleiben wird, wissen wir aber noch nicht, denn kurz bevor
Mama gen Weimar verschwand, da schlich sich in das
Mutter-Sohn-Verhältnis eine erotische Note. Freudianer hergehört: Als
die Mutter leicht bekleidet ins Wohnzimmer trat, gingen Oscar die Augen
über. Kann in einem knapp Dreijährigen die Männlichkeit erwacht sein? Er
ließ seine Holzeisenbahn wie in Trance sinken, setzte sich dem - wir
betonen - leicht bekleideten Mama auf den Schoß und zerrte am BH. Zur
Freude des anwesenden Vaters loderte in Oscar weitere Neugierde. Er
begrapschte die Mutter auf billigste Weise und versuchte, den BH zu
entfernen. Zwei Interpretationen sind denkbar: Die Version 1, nennen wir
sie "Vergangenheit" erklärt Oscars Verhalten mit der Erinnerung an die
Stillzeit. Die Version 2 dagegen nenen wir "Zukunft" und deutet an, dass
sich die Kreuzberger Mädels in einigen Jahren auf die frechen Hände
unseres Sohnes freuen dürfen.
Heute ist Totensonntag. Morgen beginnt demnach die
Weihnachtszeit. Am Ku'Damm stehen deswegen schon ein paar
überdimensionale Weihnachtsmänner herum. Es ist mit Sicherheit das
letzte Jahr, in dem wir Ella noch schön mit dem Weihnachtsmann volllügen
können. Das will ausgenutzt und perfektioniert werden. Bei Oscar
dagegen ist das alles noch nicht so schwer. Als Papa relativ
gleichgültig am Weihnachtsmann des Ku'Damms vorbeiging, da konnte sich
Oscar, der an Papas Hand lief, ja auch drauf verlassen, dass Papa sich
weiter auf den Weg konzentriert. Oscar nämlich konnte nicht mehr nach
vorne gucken. Er ließ sich einfach durch Charlottenburg-Wilmersdorf
ziehen und glotzte minutenlang zurück zu diesem seltsamen Mann, der die
nächsten fünf Wochen durchaus tonangebend sein dürfte.
Sonntag, 20. November 2011
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